Star-Club Hamburg
Hier ein interessantes Interview für alle Star-Club- und Beatlesfans.
Der Bordellbesitzer Manfred Weißleder eröffnete am Freitag, den 13. April 1962 den Star-Club. Die erste Band die dort auftrat waren die Beatles.
https://www.spiegel.de/geschichte/star-c...-a-1301631.html
Und hier eine Fotostrecke des berühmten Hamburger Star-Clubs mit Beatles u.a.
Pfeil oben oder unten zum nächsten Bild:
https://www.spiegel.de/fotostrecke/hambu...cke-172059.html
Da sieht man einen blutjungen John Lennon, Jimi Hendrix, viele die damals noch nicht berühmt waren traten auf.
Zitat :
Würde der weltberühmte Hamburger «Star-Club» noch existieren, könnte er in wenigen Tagen sein 60-jähriges Bestehen feiern. Am 13. April 1962 hatte der Musikclub das erste Mal seine Türen geöffnet - und auf der Bühne standen an Tag 1 keine geringeren als die Beatles.
Gott, waren das noch Zeiten damals im Star-Club. Der Club war immer rappelvoll und wenn man dann in den Gängen stand um die Band zu hören ,rannte einen der Kellner über den Haufen mit seiner Bierkiste. Hatte man einen Sitzplatz und verließ diesen zum tanzen, war der Platz inzwischen belegt und der Kellner raunzte einen dann an, dass man ja schon gegangen wäre. Man musste also immer mindestens einen Kumpel am Tisch sitzen lassen der auf die Getränke aufpasste. Genau so ging es damals im Hamburger Top Ten ab.
https://www.msn.com/de-de/unterhaltung/m...3&ocid=winp2oct
Kober
(
gelöscht
)
#6 RE: Star-Club Hamburg
Der Star-Club Hamburg
13.4.1962 - 31.12.1969
"Be-Bop-A-Lula" live
Die Superstars des Rock´n Roll zum Anfassen
Die vielen Bands aus Liverpool, London, Manchester, Birmingham, Dublin oder Glasgow waren Herz und Rückgrat des Star-Clubs. Für viele war der Star-Club ihre «Lehrzeit», manche der Gruppen und Musiker, die damals Nacht für Nacht auftraten, machten später Karriere und ließen dadurch die Geschichte des Star-Club zur Legende werden. Doch damals waren sie nur der «Alltag», unbekannte Musiker von vielen, bestenfalls Lokalgrößen. Den frühen Ruhm des Star-Club begründeten andere: die Superstars des Rock 'n' Roll.
Manfred Weißleder wollte mehr als nur einen Twistschuppen, der sich bis auf die Größe und die zahlreicheren Bands nicht von den anderen Rockclubs in Hamburg unterschied. Er wollte mehr als nur Bands, die fremde Songs nachspielen. Er wollte die Originale. Und er holte sie:
Gene Vincent war der erste echte Rock-Star, der im Mai 1962 die Bühne des Star-Club betrat. Be Bop A Lula live - das jagte dem Publikum einen Freudenschauer nach dem anderen über den Rücken. Seit Bill Haley 1958 war kein echter großer Rocker mehr in Deutschland gewesen, und nun dies! Der Star-Club war brechend voll, und in der ersten Reihe standen die jungen Musiker aus England mit großen Augen, weil auch sie hier ihr großes Idol zum erstenmal hautnah erlebten. Unter den Engländern, die vor Staunen den Mund nicht mehr zubekamen, befanden sich auch die Beatles. Sie holten sich von Gene Vincent Autogramme, ließen sich mit ihm fotografieren und durften sogar mit Gene zusammen ein bißchen jammen. Vincents Erfolg war so gewaltig, daß er auch in den folgenden Jahren immer wieder in den Star-Club zurückgeholt wurde. Bis 1965 trat er insgesamt mehr als 60 Tage an der Großen Freiheit auf, mit wechselnden Begleitbands, darunter den Outlaws mit Ritchie Blackmore an der Gitarre. Doch Gene Vincent war nur der Anfang. Vom 24. September bis zum 7. Oktober gastierte die nächste Rock-Sensation: Bill Haley persönlich! Bei Hamburgs Polizei herrschte Katastrophenstimmung. Mit Schrecken erinnerte sie sich an die Straßenschlachten vor vier Jahren und bereitete ihre Einsatztrupps unter größten Bedenken auf einen neuen Nahkampf vor. In Star-Club-Nähe wurden Wasserwerfer postiert, eine Hundertschaft saß abrufbereit. Doch im Gegensatz zu den Veranstaltern von früher war man im Star-Club Begeisterung und tanzende Fans gewohnt und sah ihren Jubel nicht als beginnenden Aufruhr an, der nur noch mit Gummiknüppeln gestoppt werden konnte. Alles blieb friedlich, und Haley kehrte auch später noch mehrmals an die Große Freiheit zurück. Insgesamt gastierte er 28 Tage.
Und während Bill Haley noch sein zweiwöchiges Gastspiel gab, kam am 30. September schon die nächste Granate: Little Richard, der Leibhaftige des Rock, frisch zurück aus dem selbstgewählten Kloster-Exil, um der Welt wieder die Botschaft von Tutti Frutti zu bringen. Begleitet von der Sounds In-corporated legte er im Laufe seiner Show einen fast kompletten Striptease auf die Bretter und hatte einen derartigen Erfolg, daß er schon für Anfang November wiedergebucht wurde. Bis Ende 1964 trat Little Richard insgesamt 23 Tage im Star-Club auf.
Am 29. Oktober landete auf dem Hamburger Flughafen eine Maschine aus Nizza. An Bord: Fats Domino mit seiner Band. Am gleichen Abend gab er zwei Konzerte, die bis heute zu den absoluten Höhepunkten in der Geschichte des Clubs gezählt werden. Nach den Shows gefiel es Fats im Star-Club so gut, daß er seine Musiker allein ins Hotel zurückschickte. Fats kletterte zurück auf die Bühne, klemmte sich hinters Piano und machte mit den anwesenden Gruppen - darunter den Searchers und Gerry & the Pacemakers - noch stundenlang weiter. Bis ihn schließlich um 6 Uhr sein Manager direkt vom Piano zum Flugplatz schleppte. Die Rock 'n' Roll-Größen kamen Schlag auf Schlag. Für Ray Charles wurde am 10. Mai '63 die Bühne in ein Blumenmeer verwandelt und 'extra vergrößert, damit seine komplette Bigband darauf Platz fand. Ohne mit der Wimper zu zucken, zahlte Manfred Weißleder eine Rekordgage von 60000 Mark, um Ray Charles, der sonst nur in den größten Hallen Amerikas auftrat, für eines seiner seltenen Club-Gastspiele zu gewinnen. Und im Gegensatz zu sonst ging es in dieser Nacht richtig feierlich zu: Alle lauschten voll Hingabe den Tönen des Meisters. Zwei Tage später donnerte wieder das altbekannte Trampeln und Brüllen durch den Saal an der Großen Freiheit. Jerry Lee Lewis, der Killer am Piano, das Tier am Klavier, begann sein erstes einwöchiges Engagement. Reihenweise fielen Mädchen in Ohnmacht, wenn Jerry Lee sich mit einem goldenen Kamm die Locken ordnete. Begleiten ließ er sich von den Nashville Teens, später auch von den Out-laws. Einer seiner Auftritte wurde im Star-Club für eine LP mitgeschnitten, die im gleichen Jahr von amerikanischen Fachjournalisten zur besten bisherigen Live-Aufnahme der Welt erklärt wurde. Es kamen die Everly Brothers (2 Tage), Bö Diddley (3 Tage) und Duane Eddy (8 Tage). Und schließlich kam auch Chuck Berry. Der hatte wie üblich seine Gage bereits im voraus kassiert und wollte fünf Minuten vor dem ersten Auftritt noch 1000 Dollar zusätzlich. Hans Bunkenburg: «Er war ein richtig Verrückter. Wir mußten ihn hinter der Bühne einschließen, damit Berry nicht abhaute. Als er dann mehr Gage forderte, haben wir die Hintertür versperrt und ihm gesagt, wenn er nicht spielt, müsse er durch den vollen Saal gehen, wenn er raus wolle. Da ist Berry dann doch zum vereinbarten Preis aufgetreten!»
Wie es bei diesen Auftritten zuging, weiß Pico noch genau: «Da kam man nicht mehr durch den Club durch, weil es gerammelt voll war. Da konnte kein Kellner mehr arbeiten, da ging gar nichts mehr. Die ganze Menge jodelte, damit es losging. Wenn dann der Star kam, stürzte erst mal alles zur Bühne und jeder wollte rauf. Ich mußte die Leute zurückstoßen, und weil ich das ja nicht allein schaffen konnte, haben mir immer ein paar Jungs dabei geholfen. Da fielen irgendwelche Weiber in Ohnmacht, denen hab ich dann erst mal 'n Glas Wasser gebracht. Bei Jerry Lee Lewis, Gene Vincent, Brenda Lee, Wee Willie Harris, überall das gleiche. Alle wollten auf die Bühne, auch die Frauen, alles, was da vorne war. Die haben sich so gequetscht, daß sie ohnmächtig wurden. Wir haben sie dann rausgezogen und gleich wieder in die Menge geschmissen, so, wie sie waren.»
Neben den Rock-Königen wurde jede Menge weiterer Prominenz für Star-Gastspiele gebucht. Bis zum August '64 gastierten außerdem Johnny & the Hur-ricanes (36 Tage), The Tornados (18), Joey Dee & the Starliters (2l), Chubby Checker (2), Johnny Kidd & the Pirates (56), Tommy Roe (4), Brenda Lee (l), Wee Willie Harris (31), Screaming Lord Sutch (34), Little Eva (1), Vince Taylor (21), Emile Ford (42), Joe Brown (3) und Millie (l Tag). Der Millie-Auftritt war ein Drama für sich. Sie stand gerade mit My Boy Lollipop in den Hitparaden, hatte für den gleichen Tag Verträge mit dem Star-Club und einem Lokal in Kiel abgeschlossen und für beide Veranstaltungen im voraus kassiert. Eine Band hatte sie nicht, also überredete ihr Manager den gerade anwesenden Klaus Doldinger, am Nachmittag schnell noch eine Begleitgruppe zusammenzustellen. Wie und was die Gruppe allerdings begleiten sollte, wußte niemand. Noten gab es nicht, und so konnte nur nach einer LP grob geübt werden. Ohne Millie - die kam erst 15 Minuten vor ihrem Auftritt und erklärte, daß sie ihre Songs von der LP nicht mehr auswendig kenne. Das Chaos war vorprogrammiert, und Doldinger tarnte sich daraufhin mit der blonden Lockenperücke seiner Frau, damit ihn auch ja niemand erkennt. Die Band ging auf die Bühne, spielte zwei Nummern, dann kam Millie, und alles war zu spät. Vier Songs lang kämpfte jeder gegen jeden, dann verschwand Millie wieder und meinte, ihre Arbeit sei getan. Und während das Publikum noch buhte, war sie schon auf dem Weg ins Hotel. Nach Kiel fuhr sie an dem Abend auch nicht mehr. Wozu auch - das Geld hatte sie ja schon. Dieser Vorfall aber blieb eine Ausnahme. Alle anderen Stars kamen pünktlich, boten Leistung und spielten oft länger, als sie vertraglich eigentlich mußten. Manfred Weißleder hatte es geschafft: Während in Deutschlands Konzertsälen nur bunte Schlagerabende stattfanden, lief in seinem Club genau das Programm, auf das die Rock-Fans seit Jahren voll Sehnsucht gewartet hatten, hautnah und zum Anfassen für Eintrittspreise von 3 oder 5 Mark (nur Ray Charles kostete wegen der Supergage 20 Mark). Selbst in den Mutterländern von Beat und Rock 'n' Roll, in England und den USA, gab es kein vergleichbares Lokal, das ein so geballtes Rockprogramm der Spitzenklasse bot.
Nach zwei Jahren war der Star-Club nicht mehr nur ein Musikclub von vielen. Sondern genau das, was als Werbespruch auf Pullovern und Aufklebern stand:
«The most famous Beat-Club in the world».
Der berühmteste Beat-Club der Welt.
Editorischer Hinweis
Der Text wurde entnommen aus:
Beckmann, Dieter
Martens, Claus
STARCLUB
Reinbek
1980
S. 67ff
Archiv Rock und Revolte
Der Star-Club Hamburg
13.4.1962 - 31.12.1969
Halbstark, Moped, Petticoat
Wie der Rock´n Roll nach Deutschland kam
Alles begann Ende 1959 mit dem Kaiserkeller. An der Ecke Große Freiheit/Schmuckstraße in St. Pauli eröffnete der Gastronom Bruno Koschmider Hamburgs ersten Rock'n'Roll-Club. Tür an Tür mit Striptease-Läden und Neppkneipen standen hier plötzlich schwitzende junge Engländer mit Lederjacken und gefährlichen Haartollen auf der Bühne, ließen die Gitarren donnern und brüllten dazu heisere Liebeserklärungen an Lucille, Carol, Peggy Sue und Miss Molly durch ihre 30-Watt-Verstärker. Für die Jugendlichen damals, die «Halbstarken», war dieser Club eine Offenbarung. Denn seit Bill Haley 1958 bei seiner ersten Deutschland-Tournee in Stuttgart, Essen, Berlin und Hamburg wilde Saal- und Straßenschlachten zwischen seinen Fans und einer knüppelschwingenden, tränengaswerfenden Polizei ausgelöst hatte, lief nichts mehr bei uns in Sachen Rock. Eine riesige Pressekampagne hatte anschließend dafür gesorgt, daß diese Musik, die für Erwachsene wie Obrigkeit ohnehin der Beginn des abendländischen Untergangs war, fast völlig unterdrückt wurde. «Die Moral von der Geschieht: Schlußmachen mit diesem unsinnigen und geistlosen Urwaldgetöse, das die Bezeichnung <Konzert> nicht verdient!» forderte nach den Haley-Krawallen Bild-Leser: Jakob Theobald aus Rodenkirchen. Und so geschah es auch.
Was blieb, waren dünnblütige, angepaßte Schlagerbubis wie Peter Kraus, Tommy Kent und Ted Herold (der immerhin noch der «härteste» von ihnen war), die amerikanische Rock-Originale so lange verwässerten und eindeutschten, bis nichts mehr von ihnen übrig war. Oder die sich ihre Songs gleich von der damals marktbeherrschenden deutschen Schmand- und Schlagermafia schreiben ließen. Das war dann auch kein Rock mehr, sondern, wie es so schön hieß, «Teenagermusik». Auf der anderen Seite, neben der Teenagermusik und den fast alles beherrschenden Schlagern (Leute wie Ivo Robic, Fred Bertelmann, Rene Carol und Heidi Brühl machten mit ihren Singles Millionenauflagen), gab es eigentlich nur noch Jazz, Oldtime und Dixieland. Chris Barber, Papa Bue und Max Collie waren die Könige, Ice Cream, Tiger Rag und Down By The Riverside ihre Hymnen, die überall, bei unzähligen Konzerten und an jeder Ecke aus Jazzclubs, -kellern und -kneipen erklangen. Die Exi-Szene hatte ihre goldene Zeit. Rockmusik dagegen verschwand fast völlig von der Bildfläche. Nur wenige Platten von Elvis, Bill Haley und Cliff Richard waren offiziell erhältlich. Wer auf Eddie Cochran oder Chuck Berry scharf war, mußte sich seine Singles zeitraubend und umständlich importieren lassen. Es gab nur einen Lichtblick: den englischen Soldatensender BFBS und Chris Howland mit seinem «Saturday Club» im WDR. Dieter Horns, Bassist der German Bonds: «Das war dann so jeden Sonnabend: Da saß man mit dem Tonband neben dem Radio und hat gehört, und das ging auch ganz höllisch ab. Mein Schulfreund damals, als ich in der 9. Klasse war, hatte schon ein Tonband, und wir haben dann sonnabends abends immer die <Saturday Club>-Dinger gehört, die er aufgenommen hatte. Da gab's auch immer so Raritäten, weil die Gruppen für diese Sendung ja extra live gespielt haben. Da waren ihre Stücke dann immer irgendwie 'n bißchen anders orientiert, weil die ja hauptsächlich ihre englischen Gruppen da gespielt haben, nicht so sehr die amerikanischen. Sonst gab es nur noch die Hitparade damals, die ab und zu mal was gespielt hat. Das einzige Direkte aber in der Art war tatsächlich Chris Howland jeden Sonnabend ...»
In diese Situation hinein öffnete der Kaiserkeller und brachte als erster Club in Deutschland Rockmusik regelmäßig live auf die Bühne. Als erste Gruppe war Tony Sheridan mit seiner Band gebucht, später kamen Gruppen wie Rory Storm & the Hurricanes, Howie Casey und Derrie Wilkie & the Seniors.
Horst Fascher, damals Kellner auf St. Pauli und später Geschäftsführer von Top Ten- und Star-Club: «Also das war für uns Halbstarke das absolut Größte. Hier konnten wir zum erstenmal die Musik live hören, die wir vorher nur von Platten gekannt hatten und von der wir nicht genug kriegen konnten. Es war uns völlig egal, ob die Bands nun immer genau den richtigen Ton trafen oder nicht - Hauptsache, sie waren laut, wild und gaben kräftig Zunder.» Das taten die Gruppen alle, und deshalb war der Kaiserkeller von Anfang an jeden Abend voll. Das mobilisierte die Konkurrenz: Wenig später eröffnete der Gastronom Peter Eckhorn mit dem Top Ten-Club an der Reeperbahn das zweite Hamburger Rocklokal. Auch das Studio X über dem Kaiserkeller bot kurz darauf englische Rockbands an. Und am 18. August 1960 etablierte Kaiserkeller-Besitzer Bruno Koschmider in der Großen Freiheit seinen zweiten Rockclub: das Indra, einen ehemaligen Stripschuppen. Zur Eröffnung spielte erstmals in Hamburg eine Band, die später die Legende der frühen St. Pauli-Szene begründen sollte: die Beatles. St. Pauli war zu jener Zeit ein recht rüdes Pflaster, Hamburgs Wilder Westen. Der Konkurrenzkampf zwischen Neon, Nepp und Nutten war hart, die Faust regierte, und es kam vor, daß Schlägertrupps in bester Chicago-Manier unliebsame Konkurrenzetablissements auseinandernahmen. Auch die englischen Bands lebten unter harten Bedingungen: Sie hausten zu viert oder fünft in einem Raum in Kellern, Dachböden und Abbruchhäusern und mußten für 30 bis 50 Mark pro Mann und Nacht sieben Stunden täglich Musik machen. Das funktionierte auf die Dauer nur mit Preludin - den kleinen weißen Pillen, die schnell wieder munter machen und die es auf St. Pauli an jeder Ecke gab. John Lennon: «Ich warf Pillen, seit ich Musiker wurde. Das war in Hamburg der einzige Weg zu überleben, wenn wir stundenlang spielten. Wir bekamen sie von den Kellnern - die Pillen und die Drinks.» Eine offizielle Arbeitserlaubnis hatte anfangs kaum eine Gruppe. Die meisten von ihnen - auch die Beatles - waren als «Studenten auf Ferientrip» eingereist. So ging es bis Anfang 1962. Tony Sheridan wurde zur Hamburger Lokalgröße, hatte mit Skinny Minny seinen ersten Hit und nahm im Juli '61 mit den Beatles, die gleichzeitig mit Tony im Top Ten gebucht waren und ihn zeitweilig auch auf der Bühne begleiteten, für Polydor acht Songs auf, darunter My Bonnie und Ain't She Sweet. Neue Gruppen kamen für mehrwöchige Gastspiele an die Elbe, darunter Gerry & the Pacemakers und andere Liverpooler Bands, die es zu Hause am Mersey ungleich schwerer hatten, regelmäßig aufzutreten. Trotzdem blieb die Entwicklung irgendwie stehen. Zwar brachten die Clubs jetzt Rockmusik live. Richtige Stars aber, die man von Platten und Rundfunk her kannte, traten nicht auf. Es gab nur mehr oder minder unbekannte Bands, die vorwiegend Hits anderer Leute nachspielten, selbst die Beatles machten da noch keine Ausnahme. Von Größen wie Elvis, Gene Vincent oder Jerry Lee Lewis konnte man nach wie vor nur träumen. Zudem fehlten den Clubs wichtige Voraussetzungen, um Rockmusik für ein größeres Publikum anbieten zu können: Mit Ausnahme des Top Ten waren alle Läden recht klein. Und in allen Clubs spielte nach dem Prinzip der Tanzcafes wochenlang meist nur eine einzige Band.
Es war Zeit für den Star-Club. -
Eines Morgens war St. Pauli mit grell orangefarbenen Plakaten vollgeklebt. «Die Not hat ein Ende! Die Zeit der Dorfmusik ist vorbei!» verkündeten die großen Lettern. Denn: «Am Freitag, dem 13. April, eröffnet der Star-Club die Rock 'n' Twist-Parade 1962».
Horst Fascher erinnert sich, wie es dazu kam: «Anfang '62 arbeitete ich als Kellner im Lachenden Vagabund, einer Bierkneipe auf St. Pauli. Dort stand eine Music Box, und in die hatte ich alle Rock-Singles gesteckt, die ich damals so zusammengesammelt hatte. Weil nun im Vagabund immer die richtige Musik war, kamen morgens um 4 Uhr, wenn sie Feierabend hatten, immer die englischen Musiker vorbei, um nach der Arbeit noch ein Bier zu trinken. Und es kam auch regelmäßig ein Mann, der schon damals auf St. Pauli eine Größe war: Manfred Weißleder. Ihm gehörten zu der Zeit bereits mehr als zehn Stripläden.
Manfred Weißleder kam jeden Morgen, so gegen acht, halb neun vorbei, um Kaffee zu trinken. Nach ein paar Tagen hatte er mitbekommen, daß ich die ganzen Musiker, die im Vagabund rumsaßen, gut kannte und auch in Sachen Musik ziemlich durchblickte. Vielleicht hatte er auch schon gehört, daß ich in den letzten beiden Jahren als Geschäftsführer im Top Ten und im Studio X gearbeitet hatte und Manager von Tony Sheridan war. Jedenfalls sprach er mich eines Tages an und fragte: <Du kommst ja mit den Engländern und den jungen Leuten recht gut klar. Würdest du dir zutrauen, so einen Laden zu schmeißen, der noch um einiges größer ist als das Top Ten?>
<Klar!> meinte ich. Darauf Weißleder: <Kennst du das Stern-Kino in der Großen Freiheit, gegenüber vom Kaiserkeller?> Natürlich kannte ich das Kino, da liefen ja immer die ganzen Wildwestfilme. <Meinst du, man könnte dort etwas machen?> forschte Weißleder weiter. (Natürlich, das wäre ideale Nun kam Weißleder zur Sache: <Man hat mir das ganze Haus zum Kauf angeboten. Ich würde dort gern einen Rockclub aufmachen. Möchtest du dabei mitarbeiten?) - Natürlich wollte ich!» In den folgenden Wochen wurde das Haus Große Freiheit Nr. 39 völlig umgekrempelt. Die Kinositze und die Leinwand flogen raus, statt dessen wurde eine Bühne gezimmert, Leitungen verlegt und das Innere des Kinos total umdekoriert. Was letztlich vom alten Stern-Kino übrigblieb, war die große Leuchttafel über dem Eingang, auf der einst in Großbuchstaben der laufende Film angekündigt war und die jetzt für die Namen der auftretenden Bands benutzt wurde. Weiterhin blieb der gelbe Leuchtstern mit der Hausnummer 39 an der Fassade. Auch die Kinotradition, mit quer über die Straße gespannten Fahnen für das aktuelle Programm zu werben, wurde beibehalten. Der Name Stern-Kino aber wandelte sich zum Star-Club.
Weißleder wußte, wie sein neuer Star-Club gegen die Konkurrenz der anderen Rockclubs gewinnen konnte. Er startete mit einem völlig neuen Konzept: Ein großer Saal, der mit der wandfüllenden Manhattan-Skyline als Bühnenhintergrund Internationalität widerspiegelt. Ein Vorhang vor der Bühne, um die Überraschung bei jeder Band zu steigern. Nicht eine, sondern mindestens vier Bands am Abend, die sich stündlich abwechseln. Dazu immer wieder richtige Star-Gastspiele. Und natürlich massive Werbung mit den Dorfmusik-Plakaten. Der Erfolg blieb nicht aus: Als der Star-Club am 13. April 1962 zum erstenmal seine Türen öffnete, stand eine Menschenschlange davor, die über die ganze Große Freiheit bis hin zur Reeperbahn reichte. Um 20 Uhr 15 war der Star-Club mit 1200 Besuchern schon so brechend voll, daß niemand mehr eingelassen werden konnte. Halb St. Pauli hatte sich eingefunden und Scharen von Rockfans dazu, um ein Programm zu erleben, das es in dieser Größenordnung in Hamburg noch nie gegeben hatte: Tex Roberg & the Graduates. The Bachelors. Roy Young. Und die Beatles.
Archiv Rock und Revolte
Der Star-Club Hamburg
13.4.1962 - 31.12.1969
Biete Epstein, was er will
Die Beatles in Hamburg
Am 21. Januar 1962 saß der frischgebackene Star-Club-Geschäftsführer Horst Fascher im Flugzeug nach Liverpool. Mit von der Partie war Roy Young, ein englischer Pianist, der bereits seit 1960 in den Hamburger Clubs auftrat und Fascher als Dolmetscher bei Vertragsverhandlungen diente. Ihr Auftrag: Bands buchen für den neuen Star-Club. Unter anderem auch die Beatles.
Fascher und die Beatles kannten sich schon aus Indra-Zeiten. Wen Fascher allerdings nicht kannte, war der neue Manager, der seit ein paar Monaten die Geschäfte der Band leitete - Brian Epstein. Fascher: «Epsteins Büro war am Whitechapel, einer der Hauptverkehrsstraßen von Liverpool, im ersten Stock über dem NEMS-PIattengeschäft. Er hörte uns recht interessiert zu, als wir vom Star-Club erzählten, aber dann druckste er herum. Die Beatles hatten nämlich vor einem halben Jahr Top Ten-Chef Peter Eckhorn versprochen, auch bei ihrem nächsten Hamburg-Trip wieder in seinem Club zu gastieren. Und Epstein und Eckhorn hatten bereits miteinander telefoniert und als Starttag des neuen Beatles-Engagements den 1. März 1962 abgesprochen. Nun wollte Epstein wegen des neuen Clubs nicht unbedingt sein Versprechen brechen. Zumal die Beatles im Top Ten gute Erfahrungen gemacht hatten. Und so weiter.
Daraufhin rief ich von Liverpool aus Weißleder an. Der gab mir freie Hand: <Ich will die Beatles haben. Biete Epstein, was er will.)
Also begann ich mit Epstein zu schachern. Bei ihrem letzten Top Ten-Gastspiel hatten die Beatles 200 Mark pro Mann und Woche verdient. Inzwischen standen sie bei 350 Mark. Ich bot Epstein also 500 an, freie Flüge nach Hamburg und zurück - und einen Extra-Tausender für ihn unterm Tisch. Epstein grinste, ließ die Geldscheine verschwinden, und fünf Minuten später war der Vertrag unterschrieben.»
So begann eine lange und fruchtbare Zusammenarbeit zwischen dem Beatles-Manager und dem Star-Club. Top Ten-Boss Eckhorn bekam von Brian Epstein übrigens zwei Tage später einen Brief: «Leider sind die Beatles am l. März nicht verfügbar, weil sie einen Monat später woanders in Hamburg auftreten werden. Vielleicht ist es aber möglich, Ende des Jahres einen anderen Termin zu arrangieren.» Dazu kam es nie.
Am 12. April 1962, einen Tag vor der Star-Club-Eröffnung, kamen die Beatles auf dem Flughafen Hamburg-Fuhlsbüttel an. In ihrer Begleitung waren Brian Epstein und die Mutter von Stuart Sutcliffe. Stu war bis zum Herbst '61 der fünfte Beatle gewesen, hatte sich in Hamburg aber in die Fotografin
Astrid Kirchherr verliebt, einen Studienplatz an der Kunsthochschule Lerchenfeld bekommen und war deshalb in der Hansestadt zurückgeblieben. Die Beatles freuten sich sehr auf das Wiedersehen mit ihrem alten Freund, doch als sie durch den Zoll kamen, sahen sie nur Astrid.
Horst Fascher, der die Beatles abholte, erlebte die Szene mit: «Die Beatles sahen sich ratlos um. <Wo ist Stu?> fragte John Lennon. Astrid fiel ihm schluchzend an die Brust: <Stu ist tot. Er ist vorgestern an einem Gehirntumor gestorben!> Alle waren wie gelähmt. Die Nachricht traf die Beatles wie ein Hammer. Eben noch hatten sie herumgefeixt und sich auf ihren alten Kumpel gefreut -und jetzt dies! Lennon flippte total aus und konnte sich kaum mehr beruhigen. Paul und Pete weinten. George und Stus Mutter lagen sich schluchzend in den Armen. Diese Stunde war die bitterste, die ich mit den Beatles verbracht habe. John hat sich später völlig betrunken, und auch die anderen versuchten, ihren Schmerz irgendwie zu betäuben. Ich brachte noch die Gruppe in ihr Quartier in der Großen Freiheit, dann ging ich. Sie mußten mit ihrem Kummer allein fertig werden.»
Bis zur Star-Club-Premiere am nächsten Abend hatten sich die Beatles wieder im Griff. Niemand merkte ihnen ihren tragischen Verlust an. Sie feierten und tranken mit den anderen, und alle hatten mächtig einen sitzen.
Fascher: «Brian Epstein war so voll wie noch nie in seinem Leben. Nachdem wir morgens um 6 Uhr geschlossen hatten, zog er um ins Sascha nebenan, um noch weiterzutrinken. Bis dann nichts mehr ging und er im Vollrausch über seinen Tisch kippte und einschlief. John Lennon entdeckte ihn dort wenig später, orderte an der Bar einen halben Liter Bier und kippte Epstein das Zeug über den Kopf. Das brachte ihn jedenfalls soweit wieder hoch, daß Lennon seinen Manager ins Hotel schaffen konnte.» Epstein logierte im Hotel, die Beatles nicht. Die wohnten schräg gegenüber vom Star-Club im ersten Stock über dem Striplokal Kolibri. Weißleder hatte die ganze Etage als Band-Unterkunft gemietet. Zu viert lebten die Beatles da in zwei Zimmern und schliefen in eisernen doppelstöckigen Luftschutzbetten. Im Gegensatz zu den Unterkünften, die den Bands von den Hamburger Clubs zuvor gestellt wurden, war das geradezu feudal. Sogar eine Dusche gab es. Und weil auf dieser Etage alle Star-Club-Gruppen wohnten, ging es natürlich auch immer hoch her.
Die Beatles waren dabei stets ganz vorn. Berühmt ist die Geschichte, wie sie angetrunken aus dem Fenster pinkelten und dabei wohl recht absichtlich einen Trupp Nonnen näßten, der gerade die Große Freiheit hochzog. Meist aber waren ihre Scherze weniger geschmacklos und mehr purer Unsinn. So besuchten die Beatles eines Sonntagmorgens mit einigen anderen Musikern den Altonaer Fischmarkt. Dort kann man von der Banane bis zum Kleiderschrank so gut wie alles kaufen. Die Beatles, nicht mehr ganz nüchtern, kauften sich ein Spanferkel. Lebendig natürlich. Das kam an die Leine, wurde nach dem Kaiserkeller-Besitzer Koschmider «Bruno» getauft und von John Lennon kurzerhand zum Hund erklärt. Doch Bruno weigerte sich, zu bellen und brav an der Leine zu trotten. Also bekam er auf dem Heimweg zur Großen Freiheit ab und zu einen Tritt, damit er voranging. Und weil man in Deutschland Kinder, aber keine Tiere schlagen darf, alarmierten verstörte Passanten prompt die Polizei. Horst Fascher: «So durfte ich die Beatles wieder mal auf der Davidwache abholen - nicht zum ersten- und auch nicht zum letztenmal.» Brunos ereignisreiches Leben endete 24 Stunden später bei einem Schlachter. Sein Leichnam wurde in der Star-Club-Band-Unterkunft in kürzester Zeit vertilgt. Vor allem John Lennon entwickelte sich bald zum Schrecken der Reeperbahn, an dem Keith Moon, gefürchteter Schlagzeuger der Who, seine helle Freude gehabt hätte. Horst Fascher: «Star-Club-Chef Manfred Weißleder war privat ein begeisterter Jäger. Jedes Jahr flog er für ein paar Wochen auf Safari nach Afrika oder Asien. Wenn er zurückkam, brachte er immer ein paar neue Trophäen mit, die er teils in seiner Wohnung, teils im
Star-Club-Büro aufhängte. Nun hing dort im Büro auch ein großes Orang-Utan-Fell, das Weißleder aus Borneo mitgebracht hatte. Dieses Fell <borgte> sich Lennon eines Abends klammheimlich aus. Er schlüpfte hinein, hängte sich seine Gitarre um und kam so auf die Bühne. Der Erfolg war gewaltig, alle im Star-Club brüllten vor Lachen. Und obwohl Lennon unter der Affenhaut fürchterlich schwitzte, berauschte ihn sein King-Kong-Gag so sehr, daß er drei Auftritte lang das gitarrenspielende Wundertier mimte. Als der Star-Club morgens schließlich dichtmachte, war John Lennon gerade so richtig in Fahrt gekommen. Er band sich einen Strick um den Hals, drückte Paul McCartney die Leine in die Hand, und ab ging's auf allen vieren in Richtung Reeperbahn. Mit wildem Affengegrunze sprang er alle Passanten an, die ihm entgegenkamen, und sorgte für reichlich Panik. Die Leute hielten Lennon auf den ersten Blick tatsächlich für eine Art Gorilla - da kann man sich leicht vorstellen, was los war.
Schließlich kamen Lennon und McCartney bei ihrer Affentour auch in die Talstraße. Dort stürmten sie mit wildem <Huhuhu> eine Kneipe. Lennon sprang auf einen Tisch und riß die große Solo-Show ab. Die Gäste im Lokal fanden das wohl nicht so gut. Sie türmten. Ohne ihre Zeche zu bezahlen - das jedenfalls sagte später der Wirt, der beim Auftauchen der beiden Beatles sofort die Polizei alarmierte. Und so bekam ich kurz darauf wieder einmal einen freundlichen Anruf des diensthabenden Wachtmeisters der Davidwache, daß ich zwei verrückte Beatles aus der Arrestzelle abholen könnte.
Der Talstraßen-Wirt war ziemlich sauer und wollte die Beatles für den entstandenen Schaden haftbar machen. Wir einigten uns schließlich, und er bekam für die nicht einkassierten Zechen 150 Mark. Die zog ich den Beatles dann beim nächsten Zahltag wieder ab.»
Bei Beatles-Aktionen wie mit Bruno, den Nonnen oder dem Affenfell war natürlich Alkohol im Spiel, und das meist nicht zu knapp. Fascher: «Also, ohne zu übertreiben: die Beatles waren bald jeden Tag voll. Das heißt, sie waren nicht immer so voll, daß sie nicht mehr wußten, was los war. Aber sie soffen jeden Tag. Sie hatten ja auch so viele Freunde inzwischen in Hamburg, und wenn sich jemand im Star-Club ein spezielles Lied von ihnen wünschte, gab es ja auch gleich immer eine Runde. Da gingen die Kellner hin und sagten: <Spielt doch mal Roll Over Beethoven, und außerdem soll ich fragen, was ihr trinkt.) Die Beatles tranken immer Cola-Rum, Whisky-Cola und Bier, und jede Nacht gab es Getränke in reichlichem Maße umsonst. Wenn sie dann die gewünschte Nummer spielten, bimmelte immer eine der Barfrauen an einer Glocke oder ließ die Lampen über ihrer Bar pendeln, damit die Beatles wußten, aus welcher Ecke dieser Freidrink kam.»
Tony Sheridan erinnert sich an die Folgen der Promille-Schlachten: «Wenn man in die Band-Unterkunft kam, lagen immer irgendwelche Kotzhaufen in den Ecken. Einige waren mit kleinen englischen Fähnchen an Zahnstochern verziert. Das sah richtig niedlich aus.»
Manchmal wurde bis zum Umfallen gesoffen. Eines Morgens machte Horst Fascher nach Feierabend noch einmal einen Kontrollgang durch den leeren Star-Club: «Das war eine meiner Pflichten als Geschäftsführer. Es gab ja immer wieder mal Leute, die zuviel getrunken hatten und noch irgendwo rumlagen, oder Musiker, die in der Garderobe eingeschlafen waren. Da sah ich ganz hinten in einer Ek-ke noch jemanden sitzen. Als ich hinkam, war es George Harrison, der dort schlief. Ich schüttelte ihn und sagte, er soll in sein Zimmer gehen, aber er lallte nur: <Ich kann nicht, ich bin zu betrunken.) Da meinte ich: <Wenn du trinken kannst, kannst du auch nach Hause gehen>, und versuchte, ihn hochzuziehen. Das gelang mir auch, aber kaum hatte ich ihn oben, sackte George auch schon wieder zusammen wie ein Taschenmesser. <Come on, get up>, rief ich und versuchte, ihn mit leichten Fußtritten in den Hintern zum Rausgehen zu bewegen. Aber er kam überhaupt nicht hoch und fing dann an, auf allen vieren zu krabbeln. Unterwegs klappte er immer wieder zusammen. Der Star-Club war nun ziemlich groß, und da brauchte ich schon so zwanzig oder dreißig Fußtritte, bis ich ihn an der Tür hatte. George kroch langsam auf allen vieren vor mir her, aus dem Star-Club raus und quer über die Große Freiheit bis zur Musikerunterkunft. So voll wie an diesem Tag habe ich ihn nie wieder erlebt.» Doch Fascher hat auch andere Erinnerungen: «Irgendwann abends war ich einmal drüben auf der Musikeretage. Alle Zimmer waren leer, nur in einem Raum saß Paul McCartney und spielte etwas auf seiner Gitarre. Er fragte mich, ob ich ein wenig Zeit hätte, er habe gerade einen neuen Song komponiert und würde ihn mir gern mal vorspielen. <O. k.>, sagte ich und setzte mich hin. Paul spielte ein paar Akkorde und begann dann zu singen: <Love, love me do, you know, I love you . . .> Ich fand das Stück gut und sagte es Paul auch, aber ich habe natürlich nie daran gedacht, daß die Beatles mit dieser Nummer nur wenige Monate später eine gigantische Karriere starten würden.» Das erste Star-Club-Gastspiel der Beatles ging vom 13. April bis zum 31. Mai. Sechs Monate später, am
I. November, begann ihr zweites Engagement. Es dauerte bis zum 14. November und brachte der Band pro Mann und Woche 600 Mark. Doch inzwischen hatte sich mehr als nur ihre Gage verändert.
Noch während ihrer ersten Star-Club-Verpflichtung bekamen die Beatles ein Telegramm von Brian Epstein:
CONGRATULATIONS BOYS. EMI REQUEST RECORDING SESSION. PLEASE REHEARS E NEW MATERIAL.
Das hatte Folgen: Im August feuerten die Beatles ihren Drummer Pete Best und holten sich als neuen Trommler Ringo Starr von Rory Storm & the Hurricanes. Zwei Wochen später schloß EMI-Produzent George Martin mit ihnen einen Plattenvertrag. Am 11. September gingen die Beatles in London ins Studio und nahmen ihre erste Single mit dem Titel Love Me Do/P. S. I Love You auf. Am 5. Oktober erschien die Platte in England auf dem Markt. Als Horst Fascher die Beatles am 1. November vom Flughafen abholte, mußte er zweimal hinsehen, um die Gruppe wiederzuerkennen: «Statt Lederanzügen oder Röhrenjeans trugen die Beatles mit einemmal Anzug mit Weste, weißes Hemd und Krawatte. Nur die Großvaterstiefel mit Gummizug an der Seite, die sie früher schon liebten, waren geblieben. Ansonsten waren ihre Haare länger und frisch gewaschen, und selbst die üblichen schwarzen Fingernägel waren verschwunden. Brian Epstein hatte seine Jungs optisch total umgekrempelt.» Menschlich allerdings blieben sie die alten. Und knüpften gleich wieder ihre alten Verhältnisse an.
Mit Ausnahme von George Harrison, der sein Glück lieber auf freier Wildbahn versuchte, hatten alle Beatles in Hamburg feste Freundinnen. Paul McCartney ging damals mit Cory, der achtzehnjährigen Tochter des Wirts der Blockhütte. Das war ein Lokal am oberen Ende der Großen Freiheit, wo sich die Musiker oft in ihren Spielpausen trafen. Ringos Mädchen hieß Carla. Und John Lennon hatte Betty. Betty hieß eigentlich Bettina Derlin, war Barfrau im Star-Club, hatte einen mächtigen Busen und war jederzeit bereit, den Beatles auch noch die Klamotten zu waschen und ab und zu für sie zu kochen. John mochte sie sehr - was ihn aber nicht daran hinderte, sich manchmal auch anderweitig umzusehen. Fascher: «Zu meinen Aufgaben als Geschäftsführer gehörte es auch, die Musikerunterkünfte regelmäßig nach Mädchen zu durchsuchen. Nicht, weil wir den Jungs ihren Spaß nicht gegönnt hätten. Aber damals gab es noch den Kuppeleiparagraphen in aller Schärfe. Und hätte die Polizei mal ein Mädchen gefunden, wäre der Star-Club wegen Begünstigung und Vorschubleistung der Ausübung von Unzucht) drangewesen. Weil die Behörden uns sowieso auf dem Kieker hatten, war es also besser, vorzubeugen. Diese Kontrollgänge mußten also sein, ob es den Musikern und mir gefiel oder nicht. Eines Abends nun machte ich wieder meine Runde. Nicht mehr ganz nüchtern, weil es schon spät war und es im Star-Club immer feucht herging. Aus einem der Beatles-Zimmer drangen eindeutige Quietschgeräusche - die Federn der Betten, in denen die Musiker schliefen, gaben bei größerer Beanspruchung immer solche Geräusche von sich. Ich öffnete die Tür und spähte hinein: Es war John Lennon, der dort wieder einmal seiner liebsten Freizeitbeschäftigung nachging. Ich trat ins Zimmer, aber John und sein Mädchen waren viel zu beschäftigt, um mich zu bemerken.
Blau wie ich war, wußte ich dennoch, daß eine kalte Dusche in so einem Fall der beste <Trenner> ist. Nur: eine Dusche gab es in dem Zimmer nicht. Ich hatte eine andere Idee, stellte mich hinter die beiden, öffnete meine Hose und ließ all das Bier, das ich an dem Tag schon getrunken hatte, auf das Pärchen niederplätschern. Klatschnaß und wild fluchend sprangen die beiden hoch, aber weil ich so was wie Lennons Vorgesetzter war und er wußte, daß ich Mitglied im Boxclub und Hamburger Meister im Weltergewicht war, blieb es bei den Flüchen. Die nächsten zwei Tage hat er dann nicht mit mir gesprochen, aber später haben wir uns über diese Szene fast totgelacht.»
Noch ein zweites Mal störte Fascher Lennons Liebesleben: «Einmal fiel mir auf, daß nur drei Beatles auf der Star-Club-Bühne standen. John Lennon fehlte. Das ging natürlich nicht, schließlich bezahlten wir für vier Musiker. Ich ging also nach vorn und fragte Paul McCartney, wo John steckt. <Der ist hinten und pinkelt!> meinte Paul, drehte sich um und sang weiter.
Also ging ich hinter die Bühne zu den Musikertoiletten, die direkt neben dem Duschraum und den Garderoben lagen. Eine Klotür war verschlossen, ich klopfte, keine Antwort. Ich klopfte noch mal, wieder nichts. Irgendwas stimmte da nicht. So betrat ich den Duschraum, der vom Klo durch eine oben offene Holzwand abgetrennt war, kletterte auf die Wasserhähne und sah über die Barriere hinweg. Natürlich war John Lennon auf dem Nachbarklo, und zwar in eindeutiger Pose. Ich dachte daran, wie ich ihn das letzte Mal von der Frau geholt hatte. Jetzt hing die Handbrause gleich neben mir. Ich hielt sie über die Brüstung und drehte den Kaltwasserhahn voll auf.
Ein Schrei antwortete auf den unverhofften Guß. Blitzschnell war Lennon aus dem Klo heraus und fluchte auf englisch und deutsch durcheinander. Mich ließ das alles kalt: <Los, Lennon, auf die Bühne, dafür wirst du hier bezahlt!) - <Wie denn, du Ochse, mein ganzes Zeug ist naß!> - <Ist mir doch egal, geh doch nackend!> Mit diesen Worten verschwand ich.
Fünf Minuten später begannen die Gäste im Star-Club plötzlich fürchterlich zu lachen. Ich drehte mich zur Bühne um und hielt es auch nicht mehr aus: Da stand John Lennon, nackt bis auf Stiefel und Unterhose, und sang Twist And Shout. In der Hand hatte er seine Gitarre, um den Hals eine Klobrille. Die hatte er in seinem Frust mit Gewalt abgerissen. Alle im Club johlten vor Vergnügen. Ich auch. Und weil wir unseren Riesenspaß daran hatten, brauchte Lennon die Reparatur des Klos dann auch nicht zu bezahlen. Das übernahm der Star-Club - dieser Gag war es uns wert.» Am 18. Dezember kamen die Beatles zu ihrem dritten und letzten Gastspiel in den Star-Club. Wieder für nur vierzehn Tage - bis zum 31. Dezember - und wieder für eine höhere Gage als zuvor. Nun kosteten sie 750 Mark pro Mann und Woche, und daß sie überhaupt noch einmal kamen, war Glück. Ihre erste Single Love Me Do begann gerade in der englischen Hitparade zu steigen, und Brian Epstein wollte die Band jetzt gezielt in England einsetzen. Diesmal wohnten die Beatles nicht mehr in den Räumen an der Großen Freiheit, sondern in der neuen Band-Herberge des Star-Club, dem Hotel Pacific am Neuen Pferdemarkt, wo für die Gruppen stets eine ganze Etage reserviert war. Im Pacific feierten die Beatles auch wenige Tage später Weihnachten.
Horst Fascher: «Heiligabend war der einzige Tag im Jahr, an dem der Star-Club geschlossen war. Statt dessen hatte Manfred Weißleder im Pacific eine Weihnachtsfeier organisiert, um seinen englischen Musikern, die nicht bei ihrer Familie sein konnten, ein Fest wie zu Hause zu bieten. Es gab Truthahn, jede Menge zu trinken und als Überraschung von Weißleder für jeden Musiker ein goldenes Armband. Und als wir alle blau waren, hockten wir einträchtig beieinander und sangen Weihnachtslieder. Paul McCartney begleitete uns dabei am Klavier. Außer Gerry & the Pacemakers weiß ich nicht mehr, wer sonst noch dabei war - die Bands im Star-Club wechselten ständig - doch an diesem Abend wurden die sonst so harten Burschen alle ziemlich weich und sentimental.»
An den letzten Beatles-Auftritt Silvester '62 kann sich Fascher nicht mehr erinnern: «Dazu waren wir alle an dem Tag viel zu betrunken!» Am nächsten Tag, Neujahr '63, brachte er die Beatles zum letztenmal zum Flughafen. <Tschüß Horst>, sagte Lennon zu mir, <ich glaube, dieser Abschied ist für länger. Wir werden nicht mehr in den Star-Club zurückkehren. Ich habe da so ein Gefühl . . .»> Sein Gefühl hatte John Lennon nicht getrogen. 1963 wurde für die Beatles das Jahr von Please Please Me, From Me To You, She Loves You und / Want To Hold Your Hand. Die Zeiten, in denen sie für 40 Mark pro Mann und Nacht stundenlang drauflosrockten, waren unwiederbringlich vorbei. John Lennon 1970 in seinem Rolling Stone-lnterview: «Als wir jünger waren, haben wir uns auf der Bühne wild bewegt. Wir sprangen herum und machten all das, was die Bands heute tun: Sachen kaputtschlagen, mit einem Klodeckel auf die Bühne kommen und pissen und scheißen. Das machten wir in Hamburg. Das war etwas, was man macht, wenn man sieben oder acht Stunden spielt. Sonst gibt es nichts zu tun, du schlägst den Laden zusammen und beschimpfst die Leute. Dann wurden wir elegant und hörten mit solchen Sachen auf. In Liverpool, Hamburg und in anderen Tanzhallen früher waren wir performers, und was wir machten, war phantastisch. Wir spielten straight rock, und es war in England keiner da, der an uns rankam. Sobald wir es geschafft hatten, machten wir es zwar immer noch, aber die Ecken und Kanten waren abgeschlagen. Brian steckte uns in Anzüge und all das, und wir wurden sehr, sehr groß. Aber wir hatten uns verkauft. Unsere Musik war tot, noch ehe wir in England unsere Theater-Tour starteten. Wir fühlten uns beschissen, weil wir unser Ein- oder Zweistundenprogramm, über das wir in einer Weise glücklich waren, nun auf zwanzig Minuten reduzieren und diese zwanzig Minuten dann jede Nacht wiederholen mußten. Die Beatles-Musik als Werk von Musikern starb, als Musiker entwickelten wir uns so nicht weiter. Wir vermißten später immer die Club-Auftritte, weil wir nur dort wirkliche Musik gemacht haben.»
1965 versuchte Manfred Weißleder noch einmal, die Beatles für einen Tag in den Star-Club zurückzuholen. Vom 20. Juni bis zum 5. Juli war die Gruppe auf Tournee durch Frankreich, Spanien und Italien. Das letzte Konzert fand in Barcelona statt. Zwei Tage später, am 7. Juli, sollten die Beatles einen Star-Club-Auftritt anhängen. Doch alle Bemühungen scheiterten aus Termingründen. Sechs Wochen später starteten die Beatles vor 55000 Fans im Shea Stadium New York ihre dritte USA-Tournee. Erst am 26. Juni '66 kehrten die Beatles für ein Konzert nach Hamburg zurück, allerdings in die Ernst-Merck-Halle. Im Star-Club wartete man in dieser Nacht darauf, daß mindestens einer der berühmten vier noch auf ein Bier vorbeischauen würde. Manfred Weißleder: «Es war ihnen von der Polizei verboten worden, den Star-Club zu besuchen, weil angeblich die Sicherheit nicht garantiert werden konnte. Sie sind dann aber trotzdem gekommen, nachts um 2 vom Hotel in Tremsbüttel mit der Taxe. Da sind sie aus dem Fenster geklettert.» So endet die gemeinsame Geschichte der Beatles und des Star-Club. Die Geschichte des Star-Club aber fängt jetzt erst richtig an.
Archiv Rock und Revolte
Der Star-Club Hamburg
13.4.1962 - 31.12.1969
Die Jungs aus dem Hotel Pacific
Die alte Star-Club-Garde
«Keine Pause gönnen sich die Twist-Tänzer auf der Großen Freiheit in Hamburg! Keine Pause lassen die Musiker den Twist-Entfesselten: Jung-Hamburg begeistert sich in dem neu eröffneten Star-Club an den pausenlos rockenden und twistenden Bands aus England: den Beatles, den Graduates, den Sängern Roy Young, Tex Roberg sowie den Bachelors», meldete Bild am 18. April 1962. Vier Bands in einer Nacht, die stündlich wechselten, manchmal auch noch mehr - das war wirklich eine Sensation. Die Konkurrenzlokale konnten da nicht lange mithalten. Pico, der zwei Jahre später im Star-Club Bühnenmanager wurde: «Der Star-Club war sofort beliebter als die anderen Clubs, weil dort immer die bessere Stimmung war als zum Beispiel im Top Ten.» Frank Dostal: «Vorher kannte ich nur Solisten, und hier spielten nur Bands, das war schon total neu. Und daß sie alle die Gitarre unter dem Kinn hatten, war sehr beeindruckend. Sie gaben sich anders als alles vorher, sie waren unheimlich locker und ausgelassen auf der Bühne, und dazu stampfte es auch noch kräftig.» Und Dieter Horns: «Also, das war für mich sowieso unfaßbar, daß da der Vorhang zuging und fünf Minuten später die nächste Kapelle spielte. Von so einem Programmablauf hatte ich vorher noch nie was gehört. Schon damals fühlte ich irgendwie: Das muß was Besonderessein!»
Und es waren nicht irgendwelche Bands, die im Star-Club auf die Bühne kamen, sondern echte Qualität. Die Beatles hatten schon damals in Hamburg eine große Gefolgschaft, neben Tony Sheridan waren sie die populärsten Rocker der Hansestadt. Die Bachelors, die im gleichen Programm mit ihnen auftraten, starteten ein knappes Jahr später in England mit Charmaine eine große Karriere. Vierzehn Tage nach Eröffnung kam - gemeinsam mit Tony Sheridan - eine weitere Band in den Star-Club, die wenige Monate darauf ihre ersten Hits in die Charts brachte: Gerry & the Pacemakers. In diesem Stil ging es weiter. Im Juli traten die Searchers, zuvor eine kaum beschäftigte Amateurband in Liverpool, im Star-Club ihr erstes professionelles Engagement an. Ihr Schlagzeuger Chris Cur-tis erinnert sich: «In Hamburg brachten wir zum erstenmal vierstimmige Gesangsnummern. In Liverpool war das leider nicht möglich, weil es in den meisten Clubs nicht genügend Mikrofone gab. Es war dort eine fürchterliche Organisation!» Hamburg dagegen, das sprach sich in Liverpool in Windeseile herum, bot bedeutend professionellere Möglichkeiten. So drängten sich bald die Mersey-Bands, um im neuen Rock-Mekka an der Elbe auftreten zu dürfen. Der Star-Club fischte sich aus dem Massenangebot die Perlen heraus: Neben den bereits genannten Bands bekamen bis Ende '62 unter anderen Billy J. Kramer & the Dakotas, die Swing-ing Bluegenes (später Swinging Bluejeans), King Size Taylor & the Dominoes, Lee Curtis & the All Stars und Cliff Bennett & the Rebel Rousers Langzeitverträge. Taylor, Curtis und Bennett wurden in Hamburg so populär, daß sie teils bis 1969 (Bennett) immer wieder im Star-Club auftraten und zu so was wie Hausbands wurden. In den ersten 840 Tagen des Star-Club spielten King Size Taylor 542 Tage, Cliff Bennett 174 und Lee Curtis 126 Tage. Länger als 100 Tage gastierten in dieser Zeit außerdem Tony Sheridan (599 Tage) mit seinen Begleit-Bands Beat-Brothers sowie Star-Combo und Big Six, die Checkmates (142), die Undertakers mit Jackie Lomax (140), die Searchers (128), Davy Jones (126) und Gerry & the Pacemakers (105). Dazu die deutschen Rattles (342), Phantom Brothers (240) und Strangers (122). Die Beatles traten insgesamt 79 Tage auf.
Horst Fascher: «Einige der Gruppen, die wir engagierten, kannten wir schon aus Hamburg oder Liverpool. Andere dagegen, wie zum Beispiel die Searchers, haben wir auf Grund von Empfehlungen gebucht.» So etwas kann natürlich auch danebengehen:
Als die Swinging Bluegenes am 1. September 1962 ihr erstes Engagement begannen, setzte im Publikum sofort ein ohrenbetäubendes Johlen und Pfeifen ein. Nicht viel fehlte und die Bühne wäre gestürmt worden. Denn die Bluegenes machten mit Banjo und Kontrabaß munter Oldtime-Jazz - und das war so das letzte, was sich das Rockpublikum im Star-Club bieten ließ. Erst als die Bluegenes es am nächsten Abend mit eilig eingepaukten Chuck Ber-ry-, Little Richard- und Jerry Lee Lewis-Hits noch einmal versuchten, wurden sie akzeptiert. Und als sie vier Wochen später, inzwischen voll auf Rock umgeschaltet, den Star-Club wieder verließen, hatten sie schon ihr Re-Engagement in der Tasche. Um solchen Überraschungen vorzubeugen, beauftragte daraufhin der Star-Club den englischen Agenten Henry Henroid (der zuvor unter anderem
Manager von Mario Lanza war) mit der Band-Buchung. Zudem wurden in Liverpool Band-Wettbewerbe veranstaltet, deren Sieger die ersehnten Hamburg-Verträge bekamen. Auch Beatles-Manager Brian Epstein wurde zum Star-Club-Spezial-agenten. Epstein hatte schnell begriffen, daß der Star-Club eine ausgezeichnete Schule für junge Bands war und schickte daher seine neuen Gruppen - darunter die Koobas, Remo Four und Ian & the Zodiacs - erst einmal nach St. Pauli. Hamburg wurde zum Prüfstein für Karrieren, die Star-Club-Bühne zur Testrampe. Wer hier bestand, konnte anschließend voll durchstarten und abheben. Immer mehr Bands kamen aus Liverpool, London und den anderen englischen Städten nach Hamburg. Nicht nur, weil es im Star-Club längere und besserbezahlte Jobs gab als in ihrer Heimat, sondern bald auch aus Gründen des Renommees. Hans Bunkenburg, zunächst Hauselektriker und später Geschäftsführer im Star-Club: «In England gehörte es für renommierte Gruppen einfach dazu, auch im Star-Club aufgetreten zu sein. Um das zu erreichen, begnügten sich manche von ihnen auch mit weniger Gage, selbst wenn sie zu Hause schon einen Hit hatten.» In Hamburg war dann jeder Musiker ein König. Für sie war die Reise an die Elbe auch ein Sprung in die totale Freiheit. Tony Sheridan: «In Liverpool gab es nichts in der Art wie die Reeperbahn, all diesen Sex und so. Die Kneipen hatten im Gegensatz zu England rund um die Uhr geöffnet. Etwas zu trinken gab es jederzeit und für die Musiker fast immer umsonst. Man brauchte als Musiker eigentlich überhaupt nichts zu machen, nicht mal zu spielen, einfach da sein und sich in Pose werfen genügte schon. Ich kenne einen Schlagzeuger, der spielte zwei oder drei Monate und ließ sich dann den Rest des Jahres von den Damen aus der Herbertstraße unterhalten. Und so wie er trieben es damals einige.» Doch nicht alle Bands, die Hamburg anzog, konnten einen Star-Club-Vertrag ergattern und das süße Leben von St. Pauli genießen. Tony Sheridan: «Zu einer Zeit waren bestimmt zweihundert Gruppen in Hamburg, davon spielten vielleicht zehn Prozent. Alle anderen hockten herum, spielten umsonst oder fuhren nach Kiel, um dort ihr Glück zu versuchen. Sie wurden ausgebeutet von komischen Managertypen und blieben meist nicht lange. Fast alle hatten kein Einreisevisum, keine Arbeitserlaubnis, aber das war nicht so schlimm. Wenn die Polizei jemanden erwischte, wurde er ausgewiesen und kam am nächsten Tag wieder über die Grenze, ganz einfach.» Wer aber vom Star-Club gebucht wurde, lebte in einer eigenen kleinen Welt. Die Gruppen wohnten gemeinsam in der Band-Unterkunft gegenüber dem Star-Club, später dann im vierten Stockwerk und im Anbau des Hotels Pacific. Sie mußten von 18 bis 6 Uhr früh spielbereit sein und in dieser Zeit mindestens drei Auftritte bringen. In welcher Reihenfolge sie anzutreten hatten, stand auf dem Spielplan, den der jeweilige Star-Club-Geschäftsführer täglich neu hinter der Bühne aushängte. Wer Pech hatte und den letzten Set von 5 bis 6 Uhr erwischte, konnte sich dann mit Hilfe von Preludin auf eine lange Nacht vorbereiten. Tony Sheridan: «Eine Zehnerröhre kostete 20 Mark. John Lennon konnte eine ganze Packung auf einmal schlucken. Allerdings schlief er dann auch zwei Tage nicht mehr.» In den Pausen zwischen ihren Auftritten trieben sich die Musiker auf dem Kiez herum. Bevorzugte Anlaufstellen waren Gretel & Alfons, eine Kneipe neben dem Star-Club, die noch heute existiert und von den Engländern kurz «Beershop» genannt wurde. An den Wänden des Lokals hingen dicht an dicht signierte Fotos der vielen Gruppen von nebenan, die hier ihre freie Zeit vertrieben. Eine Tür weiter war Granny, ein Imbiß, der mit Schaschlik, Frikadellen, Kakao, Tee, Cornflakes und Kartoffelsalat die Ernährung der meisten St. Pauli-Musiker sicherstellte. Dann gab es am oberen Ende der Großen Freiheit die Blockhütte, in der die Musiker oft sehr interessierte weibliche Fans antrafen. Der spätere Deep Purple-Gitarrist Ritchie Blackmore zum Beispiel lernte hier seine zweite Frau Barbara kennen.
Mädchen waren überhaupt für die Bands nie ein Problem. Von St. Paulis Damenwelt wurden sie gern betreut und bemuttert. Und im Star-Club selbst gab es neben den Barfrauen die sogenannte «Ritzenecke». Achim Reiche!: «Die war links von der Bühne, vom Eingang aus gesehen, gleich neben dem Bühneneingang. Da saßen immer Mädchen, die auf Musiker standen, ganz normale Mädchen von überall aus Hamburg und zum Teil auch aus Harburg. Es gab da einen richtig festen Stamm von Mädchen, die immer da waren. Wenn eine neue Band kam, teilten sie manchmal schon Tage vorher die einzelnen Musiker unter sich auf, so: <Ich nehm den Gitarristen, du kannst den Schlagzeuger haben.) Wenn ein Gast im Star-Club, der das nicht wußte, eine von ihnen aufzureißen versuchte, kriegte er eine Abfuhr. Deutsche Musiker waren für sie auch nicht so interessant. Aber wenn es ein Engländer war, egal wie häßlich, mit Pickeln oder 'nem Buckel, der hatte freie Auswahl.» Hinter der Bühne lief mit den Mädchen allerdings kaum etwas. Dieter Horns: «Da wurde sich umgezogen und mal ein Bier getrunken, aber sonst nichts. Da paßte schon Hilde die Wilde auf. Hilde war für den reibungslosen Ablauf auf und hinter der Bühne verantwortlich. Sie achtete sehr auf Pünktlichkeit, fünf Minuten vor dem Auftritt kam sie in die Garderobe und sagte den Countdown an. Wenn man gerade in letzter Minute aus dem Beershop in den Star-Club zurückkam und die Gitarre stimmte nicht, hatte man noch zwei bis drei Minuten, sonst mußte man mit der ungestimmten Gitarre spielen. Hilde hatte backstage immer alles unter Kontrolle, und eigentlich sind alle mit ihr auch immer gut ausgekommen.»
Natürlich war St. Pauli ein recht hartes Pflaster. Tony Sheridan: «In Hamburg waren die Leute wesentlich aggressiver als in England, vor allem natürlich die Typen, die auf St. Pauli rumhockten. Das waren ganz brutale, kriminelle, aggressive Typen, alle auf einem Haufen.» Doch die Bands lebten in diesem Milieu recht sicher. Horst Fascher: «Die Leute wußten alle, wenn sie einem Musiker etwas tun, hinter dem stehen die ganzen Jungs aus dem Star-Club, und das gibt Ärger.»
Roy Dyke, Schlagzeuger der Remo Four, erinnert sich an so einen Fall: «Wir waren mit den Liverbirds und ein paar Freunden im Sahara, einem Club auf der Reeperbahn. Da kamen drei Italiener an unseren Tisch und wollten die Liverbirds aufreißen, gleich so auf die harte Tour, ganz brutal, und weil die Mädchen nicht wollten, zückten sie plötzlich Messer. Wir saßen ganz eingeschüchtert in unserer Nische, nur Pamela, die Gitarristin, konnte noch abhauen. Pam rannte sofort zum Beershop und alarmierte Rudi, den Quadrathauer, einen Freund von uns. Das war ein Kerl wie ein Bär, wenn der einen Schnaps trank, aß er immer hinterher das Glas auf, so aus Spaß. Aber er mochte uns Musiker, wir waren seine Freunde, und wenn einer was von uns wollte, hatte er es gleich mit ihm zu tun. Pam lief mit ihm zurück ins Sahara, Rudi kam rein, baute sich vor den Italienern auf und fragte mit der ganz tiefen Stimme: <He - was ist los hier?> Er kümmerte sich gar nicht um die Messer, sondern packte den einen Italiener am Hemd und warf ihn über zwei Tische gegen die Wand. Die beiden anderen ließen sofort ihre Stilette fallen, entschuldigten sich und verschwanden blitzschnell. Das war richtig wie im Western oder in einem Comic. Wir haben Rudi dann
als Dank einen Drink bestellt, und er hat dann als Nachtisch auch gleich noch sein Glas verspeist.» Frank Dostal hatte ein anderes Erlebnis: «Mit den Koobas, den Liverbirds und Lee Curtis bekamen wir in der Mambo-Schänke in der Talstraße Ärger mit drei oder vier Suffköppen, die sich unbedingt mit uns prügeln wollten, weil wir sie angeblich angerempelt hatten. Dem einen von den Koobas haben sie dann auch gleich 'ne dicke Lippe gehauen, und auf mich hat einer von denen auch eingeschlagen. Da sind wir in den Beershop gegangen und haben erzählt, was uns passiert war. Da kam dann gleich ein Rudel von 50 Leuten mit uns rüber zur Mambo-Schänke, um uns zu rächen. Wir hatten einfach immer viele Freunde, die uns beschützten.» Szenen wie diese aber blieben selten. Die Musiker und die St. Paulianer arrangierten sich miteinander, schließlich lebten alle in einer großen Szene. Und hauptsächlich kümmerten sich die Musiker um ihren Job und ihre Musik.
Dieter Horns: «Wir konnten immer mindestens zwei Stunden verschiedenes Programm anbieten. Das heißt, wir haben unsere Test-Nummern und die etwas cooleren immer am Anfang gespielt und die besten Nummern dann in der Serie vor 10 Uhr. Man spielte zuerst entweder von 6 bis 7, von 7 bis 8, von 8 bis 9 oder von 9 bis 10 Uhr. Von 9 bis 10 und dann später noch mal von 12 bis l waren die Spitzenzeiten. Da trat entweder der Star auf, oder, wenn keiner da war, im täglichen Wechsel die üblichen Kapellen. Jeder konnte so auch zur Spitzenzeit auf die Bühne. Das hieß dann auch, daß wir an dem Tag besonders gut sein mußten, es wurde ja immer auf die Reaktion des Publikums geachtet, und es machte sich auch am Umsatz bemerkbar. Da rannten immer etliche Leute rum - Geschäftsführer, fünf verschiedene - und kontrollierten das. Die haben dann natürlich oben im Büro auch immer Bericht abgegeben, welche Gruppe zu spät angefangen oder welche Gruppe nicht so gut gespielt hat. Deshalb mußten die Bands auch ihre Sauferei unter Kontrolle halten. Denn wer im Laufe der Nacht nur noch lallend auf die Bühne konnte oder gar nicht mehr dazu in der Lage war, bekam sofort Gagenabzug. Der Star-Club achtete auf Disziplin.» Beim letzten Auftritt um 5 Uhr allerdings wurde alles viel lockerer. Achim Reiche!: «Dann wurde es noch mal voll im Laden, weil die Mädchen aus den Eros-Häusern um die Zeit Feierabend hatten und noch auf einen Sprung vorbeikamen.» Die Band, die dann auf der Bühne stand, hatte meist einige Promille geladen, juxte herum, trat manchmal auch in Unterhosen auf oder ließ einen nackten Hintern durch den Vorhang leuchten. Musiker anderer Gruppen stiegen zu Sessions ein, und wenn eine Gruppe in dieser Nacht gerade ihr Vierwochen-Engagement beendete, ließen sich die anderen Bands meist noch einen Gag für den letzten Auftritt einfallen. Roy Dyke: «Da ist dann immer sehr viel Mist gemacht worden. Wir wanderten laut singend vor der Bühne auf und ab, bewarfen die Band mit Klorollen oder bespritzten sie mit Bier.» Wenn schließlich die Morgensonne das Kopfsteinpflaster der Großen Freiheit färbte und den Häusern von St. Pauli jede Illusion nahm, war für die meisten Musiker noch immer nicht Feierabend. Roy Dyke: «Wenn wir zwölf oder vierzehn Stunden lang Musik gehört hatten, wollten wir meistens noch in Ruhe irgendwo ein Bier trinken. Dann zogen wir noch von einer Frühkneipe in die andere, und wenn wir endlich so gegen 9 Uhr ins Hotel kamen, total kaputt, und nur noch schlafen wollten, passierte es oft, daß wir aus dem Fahrstuhl kamen und plötzlich mitten in einer gigantischen Party landeten, die eine andere Band auf unserer Hoteletage feierte.» Oder ein paar Gruppen taten sich zusammen, setzten sich in ihre Bedford- und Transit-Vans und brausten über die Autobahn nach Timmendorf zur Ostsee. Der Tag wurde mit Dösen und Baden am Strand verbracht, am Abend waren sie wieder pünktlich um 18 Uhr im Star-Club zur Stelle. Oder sie traten auf dem Fußballplatz gegeneinander an. Schon 1962 stieg auf St. Pauli ein Match Musiker gegen Star-Club-Belegschaft. Im Band-Tor stand Davy Jones, auf dem Feld kämpften alle vier Beatles, Gerry & the Pacemakers und je ein Mitglied der Searchers und der Dominoes. Damals bekamen die Liverpooler Kicker schwer aufs Auge: die Hamburger fetzten sie mit 25:3 vom Feld. Die Star-Club-Bands bildeten eine große Clique für sich. Sie arbeiteten, lebten und feierten zusammen, eine rauhbeinige, doch freundliche kleine englische Kolonie inmitten der sündigsten Meile der Welt. Auch wenn die Gesichter wechselten, alte Freunde Abschied nahmen und neue Musiker dazukamen. Liverbirds-Gitarristin Pamela Birch: «Wir waren alle jung, ein bißchen verrückt, hatten einen harten Job und ein tolles Leben. Und wir glaubten alle, das würde ewig so weitergehen.»
Archiv Rock und Revolte
Der Star-Club Hamburg
13.4.1962 - 31.12.1969
Steilhoop und Eimsbüttel gegen Lüneburg und Celle
Deutsche Rock-Amateure werden zu Beat-Stars
Am Anfang blieben im Star-Club die englischen und amerikanischen Bands unter sich. Deutsche Musiker hatten dort höchstens als Zuschauer im Publikum etwas zu suchen. Es gab ja auch keine einheimischen Gruppen, die mit ihren ausländischen Kollegen mithalten konnten. Alles steckte noch in kleinsten Kinderschuhen. Nur ein paar enthusiastische Amateure versuchten mit Radioverstärkern oder zerschlissenen uralten 3rd-Hand-Amps und schauderhaft falschen englischen Texten auf den Spuren von Chuck Berry, Buddy Holly und den Shadows zu wandeln.
Einer von ihnen war Achim Reiche!, der ein Jahr zuvor die Rattles gegründet hatte: «Es gab da so ein paar kleine Läden in Hamburg, wo ab und zu mal deutsche Bands spielen durften. Aber das war alles sehr schwofmäßig und tanzkapellenartig. Ich erinnere mich da an die Strangers, die spielten im Mioska und waren die perfekte Cliff Richard/Shadows-Kopie. Den richtig harten, frechen und schmutzigen Rock gab es nur im Thäder in Bramfeld. Da haben wir mit den Rattles am Anfang oft gespielt. Aber eine richtige Rockband-Szene gab es damals in ganz Deutschland noch nicht.»
Die entstand erst ganz langsam, als die ersten englischen Bands nach Hamburg kamen und zeigten, wie man's macht. Und als Manfred Weißleder, der die zaghaften Deutsch-Rock-Versuche in den Tanzdielen und Jugendclubs aufmerksam verfolgte, sich entschloß, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: den jungen deutschen Musikern auf die Füße zu helfen und andererseits dem Star-Club eine neue Attraktion zu verschaffen. Im Januar '63 startete er deshalb den ersten Band-Wettbewerb für deutsche Gruppen. Erster Preis: ein Engagement in den heiligen Hallen des Star-Club. Und, natürlich, ein Pokal.
Achim Reiche!: «Wir haben in Lurup gespielt in einem Laden, und dann kam mal Horst Fascher an. Und der war unheimlich begeistert von uns und meinte: <Mann, ihr seid ja 'ne heiße Band>, und papi und papo. Ein bißchen später haben wir dann im Kaiserkeller gespielt, und da kam irgendwann die Mafia rein, also Fascher, Ali, der zweite Geschäftsführer, dieser Brecher, und Weißleder persönlich. Sie hörten mal kurz in unsere Mucke rein und zogen dann wieder ab. Nun wußten die, daß wir so in Hamburg und Umgebung die Matadore waren mit der größten Gefolgschaft. Und daraufhin wurde eigentlich erst dieser Wettbewerb aufs Tablett gebracht, weil die wußten, das gewinnen die sowieso, und dann kommen ihre Fans immer zu uns in den Star-Club. So konnten sie a) cool an uns rankommen und b) dem Image des Star-Club gerecht werden, indem sie dann sagen konnten: die Rattles haben ja immerhin einen Wettbewerb gewonnen, wenn die jetzt hier spielen, dann hat das ja auch seinen Grund. Ich kann mir vorstellen, daß das auch deshalb war, damit nicht anschließend andere Gruppen kommen und sagen: Die Rattles spielen im Star-Club, und warum wir nicht? Ich fand das schon ganz clever von Weißleder.
Beim Wettbewerb war der Star-Club dann so gestopft voll, daß man im Stehen ohnmächtig werden konnte, ohne umzukippen. Ich glaube, es spielten so zehn Gruppen, mehr gab's damals in der ganzen Gegend nicht. Dabei waren Big Göff & the Tigers, die Strangers, dann Tony Tornado & the Tonics, ich glaube auch noch Cisco & the Dynamites, mit dem Cisco, der jetzt bei Truck Stop ist, und Mama Bettys Band, mehr fällt mir nicht ein. Aber hauptsächlich war das 'ne Schlacht zwischen Mama Betty und uns. Die Mama Betty Band spielte hauptsächlich da unten zwischen Lüneburg und Celle, und von da hatten sie ihre Fans mit Bussen und Spruchbändern nach Hamburg gekarrt. Für uns waren dann die ganzen Typen von Barmbek, Steilshoop und Dulsberg gekommen, für die wir die Favoriten waren. Jede Gruppe spielte so drei bis vier Nummern, dann kam die nächste. Zum Schluß mußte jeder Zuschauer seine Lieblingsgruppe auf eine Stimmkarte schreiben, und da haben wir denn mit dreimal soviel Stimmen Abstand vor Mama Betty gewonnen.» Die Rattles bekamen den Pokal, das Star-Club-Engagement und schlössen mit Manfred Weißleder einen Managementvertrag ab. Sie unterschrieben ein paar Papiere, ohne sich groß darum zu kümmern, was sie da nun alles signierten. Achim: «Wir waren sowieso ziemlich unkritisch. Für uns war der Star-Club das Mekka, und da gehörten wir jetzt so mittenmal dazu. Das war also schon mal das Größte. Solange wir da spielen konnten und es ging los und wir bekamen dafür genügend Geld, war uns alles egal. Den Rest haben wir Manfred Weißleder überlassen.»
Und Weißleder handelte. Achim: «Als unsere erste Platte erschien, wußten wir gar nichts davon; das war schon ein bißchen merkwürdig. Es waren zwei Stücke auf der ersten Live-LP von Philips, Shimmy Shimmy und Hippy Hippy Shake. Und dann kam auch gleich die erste Single, Mashed Potatoes. Wir hatten damals gar keinen Einfluß darauf, was nun als Platte erscheint. Das regelte Weißleder mit dem Philips-Produzenten Sigi Loch.» Die Rattles traten fortan regelmäßig im Star-Club auf, wurden die deutsche Hauskapelle des Lokals und schnell bei einem großen Publikum populär. Mit den englischen Musikern hatten sie kaum Probleme: «Sie sahen nicht auf uns herab, sondern waren immer höflich. Der Adrian Barber, der eine Zeitlang Stagemanager war und später Toningenieur bei Cream wurde, hat uns zum Beispiel unheimlich geholfen. Der hat sich zusammen mit uns hingesetzt und uns bei den Texten und Harmonien geholfen. Wir haben zu der Zeit ja unheimlich schlecht Englisch gesprochen, Texte zu kriegen war für uns ein Kreuz. Wh" haben sogar am Anfang versucht. Stellen, die wir nicht verstehen konnten, durch irgendwie ähnlich klingende Phantasiewörter zu ersetzen.
Nur mit King Size Taylor gab es öfters kleine Fights. Wenn er spielte, lagen wir immer oben auf dem Balkon und brüllten irgendwelchen Kram zwischen seine Stücke. Er wußte natürlich genau, wer das war, und ärgerte sich immer fürchterlich und drohte mit erhobener Faust zurück. Oder wir machten kleine Kritzeleien auf dem Spielplan hinter der Bühne. Da stand dann neben Rattles plötzlich <Bollocks>, oder wir haben bei King Size <die fette Sau> drangeschrieben. Aber das war mehr gegenseitiger Quatsch. Komisch war da nur eine andere Situation, als sich unser Bassist Herbert Hildebrandt mit Jerry Lee Lewis fotografieren lassen wollte. Es klappte auch, aber als er hinterher das Bild sah: Da lachte er ganz selig und stolz neben Jerry Lee, und der macht so öööööööh, so 'n total abgefucktes, gelangweiltes Gesicht.»
Fast ein dreiviertel Jahr dauerte die Lehrzeit der Rattles auf der Star-Club-Bühne. Dann schickte sie Manfred Weißleder in die Höhle des Löwen: nach England. Dort tourten die Rattles sechs Wochen lang mit den Everly Brothers, Little Richard und Bö Diddley, in der Auftrittsfolge noch besser placiert als eine junge englische Nachwuchsband, die sich bei dieser Tour gerade ihre ersten Lorbeeren verdiente: die Rolling Stones. Tourneemanager war Peter Grant, heute Manager von Led Zeppelin. Die Rattles spielten auch solo in Liverpool, natürlich im Cavern Club, und verursachten dort Hysterie und straßenlange Fan-Schlangen wie zu besten Beatles-Zeiten. Im Frühjahr '64 folgte die nächste Englandtour, wieder gemeinsam mit den Stones, die jetzt ihre ersten Hits gelandet hatten. Manfred Weißleder tat etwas für seine Schützlinge. Er verhalf den Rattles zu einer steilen Karriere, schickte sie im Land herum, kurbelte ihre Plattenumsätze an, und schon bald waren die Rattles unbestreitbar Deutschlands Beat-Band Nr. l. (Das Pop-Blatt Musikparade ließ 1964 von seinen Lesern die populärsten deutschen Gruppen wählen. Mit 49 Prozent landeten die Rattles auf Platz l. Auf dem zweiten Rang mit 10 Prozent folgte das Medium-Terzett.)
Dieses Beispiel und der inzwischen erfolgte kometenhafte Aufstieg der Beatles hatte die deutschen Gruppen aus ihren Übungskellern gescheucht. Der Andrang zum zweiten Band-Wettbewerb im Star-Club war entsprechend groß: 32 Kapellen standen am Start. Eine davon waren die German Bonds mit Dieter Horns:
«Wir waren eine Gruppe von sehr vielen. Wir kamen da nachmittags im Star-Club an zum Soundcheck, und endlich konnten wir auch auf der Bühne stehen, wo immer die großen Stars sind, und über die gleichen Fender-Verstärker spielen. Das war nun ganz toll! Wir waren die Lokalmatadoren in Bergedorf, aber beim Soundcheck hörten wir dann die Giants, die brachten She Loves You von den Beatles, und das war so was von geil, da bin ich fast zusammengebrochen. Die machten astreinen Chorgesang, so dreistimmig, und wir haben gedacht, gegen die kommen wir bestimmt nicht an. Aber dann hat sich das doch anders ergeben. Der Kampf war ziemlich hart, aber wir hatten viele Fans aus Bergedorf im Laden, und dann schmissen alle ihre Stimmen in einen Karton rein, die dann hinten im Hof in so 'nem Laden ausgezählt wurden. Von jeder Band saßen ein paar da rum und haben genau darauf geachtet, daß auch alles stimmte. Sieger waren dann die Four Renders, wir machten den Zweiten, dann kamen die Phantom Brothers und die Giants erst auf Platz vier.
Anschließend bekamen wir von Weißleder einen Vertrag als feste Star-Club-Band, die Four Renders, die Giants und die Phantom Brothers auch, und wir haben dann regelmäßig im Star-Club gespielt, gingen auf Tournee, machten Platten und fuhren nach England und gaben in Liverpool Konzerte. Das war offiziell von Weißleder als Gesellschaftsreise getarnt, weil wir alle keine Arbeitsgenehmigung für England hatten, die gab es damals irrsinnig schwer. Wir spielten im Cavern Club und im Iron Door Club, wo die Searchers herkamen, und alles war tierisch voll mit kreischenden Mädchen. Das war ein ganz tolles Erlebnis, bei der kleinsten Bewegung kreischten die wie wahnsinnig. So etwas gab es in Deutschland nicht.
Nach unserem zweiten Platz im Wettbewerb haben wir dann gleich Autogrammkarten drucken lassen mit dem Zeichen <Star-Club Hamburg) darauf. Das war für uns dann so ein Markenzeichen. Die Wirte, die in Deutschland Bands buchten, wollten ja alle nur Gruppen aus Liverpool. Deshalb hatte es Manfred Weißleder am Anfang auch schwer, seine deutsehen Gruppen woanders zu vermitteln. Aber das Star-Club-Zeichen als Gütesiegel hat dann nach einiger Zeit doch geholfen; man war dadurch wer, nicht irgendeine Band. So Ende '64, als wir uns als Club-Gruppe, die einen Monat spielte, profiliert hatten, verdiente ich netto ungefähr 1200 Mark. Ich hätte damals in meinem Beruf als Modellbauer-Geselle nur 800 verdient. Das war natürlich schon ein Unterschied.»
Doch daß Musik auch ein hartes Geschäft ist, war damals nur den wenigsten Gruppen klar. Dieter Horns: «Wir wollten rumtouren in Deutschland, aus nächster Nähe die anderen Clubs, Städte und Leute kennenlernen. Dazu brauchten wir im Grunde genommen keinen Manager, und deswegen hatten wir auch keinen, das war uns nicht so wichtig. Aber es wäre natürlich gut gewesen, wenn damals jemand dagewesen wäre, der gesagt hätte: Paßt auf, das große Geld kommt nicht, indem ihr auf der Bühne vor den Leuten steht und spielt und Spaß habt, und hinterher reißt ihr vielleicht 'n Zahn auf, so ohne Ziel. Sondern ihr müßt Stücke schreiben, Platten machen, euch irgendwie besonders kleiden, ihr müßt sehen, daß ihr was daraus macht. Das war damals nicht so. Man hatte natürlich auch viel Geld und lebte gut und hatte das euphorische Feeling. Man fühlte sich auch gleich 'n bißchen als was Besonderes, man war Musiker aus Hamburg. Überall wurde man begehrt und kam gut an, egal ob bei Jungs oder Mädchen. Alle waren neugierig zu wissen, wie es in Hamburg ist, in der Stadt, wo alles lief. Irgendwie war das so: Man hatte Spaß zu der Zeit und dachte nicht an diese harte, konsequente Arbeit. Das haben damals nur die Rattles so richtig hingekriegt.»
Immerhin gab der Star-Club den deutschen Bands kräftig Entwicklungshilfe. Rivets-Bassist Kuno Dreysse: «Da lief auf der Bühne für deutsche Musiker immer ein absolutes Lehrprogramm ab. Da tauchten plötzlich ganz neue Elemente auf, daß man zum Beispiel auf der Gitarre auch solistisch Harmonien greifen kann. Oder man merkte plötzlich, was der Baß überhaupt für 'ne Funktion hat. Als Amateur hattest du den Baß überhaupt nicht auf der Rechnung, und nun siehst du, daß die Engländer ihn auch mit den Fingern spielten statt mit 'nem Piektrum. Ich bin sofort auch auf Finger umgestiegen. Also das war die absolute Schule, die ewige Energiequelle.
Und es war auch immer die härteste Prüfung für dich als Musiker. Weil, du wußtest immer: da unten im Saal sitzen Musiker und hören zu, und das Publikum ist sehr verwöhnt, das hatte schon sehr viel gesehen. Das war für uns immer eine Bewährungsprobe, der Härtetest. Du konntest noch so gut im Geschäft sein - wenn du im Star-Club spieltest, kamst du dir vor wie 'n Amateur, also von der Nervosität her. Da war jeder Auftritt wichtig, da mußtest du einfach gut sein!»
Der nächste Band-Wettbewerb am 6. September '64 wurde bereits bundesweit ausgerichtet. In Kooperation mit der Filmfirma United Artists, die zum Start des ersten Beatles-Spielfilms «A Hard Days Night» die «deutschen Beatles» suchte, fanden Vorausscheidungen überall in Deutschland statt. In Hamburg stritten dann die Rivets (Hamburg), die Lords (Berlin), die Krauls (Frankfurt), die Germans (Bremen), die Minstrels (Stade), die Tornados (Hamburg) und die Echoes (Frankfurt) um den ersten Preis von 1000 Mark und den obligaten Star-Club-Vertrag. Es siegten vor den Germans die Lords, die aber im Gegensatz zu den Rivets, die Platz drei erreichten, nicht von Weißleder verpflichtet wurden. Trotzdem schafften sie im August '65 mit ihrer ersten Single Shakin' All Over, einer Cover-Version des alten Johnny Kidd-Hits, eine steile Karriere, die sie zur einzigen kommerziellen Konkurrenz für die Rattles werden ließ. Die Rivets stiegen ebenfalls steil auf und bildeten bald mit Rattles und Lords das Triumvirat der populärsten deutschen Bands. Die Star-Club-Wettbewerbe mit fast automatischer Karriere-Garantie waren bald das Ziel aller deutschen Bands. Hier mitzumachen, zu siegen und anschließend Stars zu sein - davon träumten sie alle. So dauerten die Vorausscheidungen zum vierten Wettbewerb 1965 zwei Tage. Am dritten Tag traten dann die sechs Vorsieger zur Endausscheidung an. Platz 1 belegten die Black Devils aus Braunschweig, Platz 2 die Hamburger Giants, Platz 3 die Tappers aus Mölln.
Zum fünften Band-Wettbewerb 1966 meldeten sich mehrere Hundert Gruppen. Nach langen Vorentscheidungen und dem Abschlußwettstreit im Star-Club siegten die Faces aus Hamburg vor den Hamburger Screamers und gewannen neben Pokal, 500 DM und einem Probeaufnahmenvertrag die von allen vier Beatles signierte Originalgitarre von Paul McCartney, die dieser 1960 im Kaiserkeller spielte. Allerdings gelang den Faces kein Aufstieg wie ihren Vorgängern, da ihr Sänger Frank Dostal und Pianist Bernd Schulz ein halbes Jahr später als Ersatz für Achim Reichel, den die Bundeswehr rief, zu den Rattles gingen. Immerhin: zumindest diese beiden hatten es geschafft. Im gleichen Band-Wettbewerb traten übrigens auch die Rangers aus Frankfurt auf.
Damals dort Sänger: Marek Lieberberg, heute Chef der Konzertagentur «Mama». Inzwischen waren viele gute deutsche Bands herangewachsen. Die Berliner Rollicks, Odd Persons und Boots, erstmals hervorgetreten bei einem Star-Club-Nachwuchswettbewerb 1964 in der alten deutschen Hauptstadt, wurden neben den Hamburger Wettbewerbssiegern bald gerngesehene Gäste im Star-Club. Beatles-Boom und Weißleders Star-Club-Unterstützung und Wettkampfförderung hatten aus einer Handvoll halbstarker Rock-Amateure eine fundierte und funktionierende Band-Szene gemacht, deren Plattenumsätze teilweise beachtlich waren und deren führende Vertreter sich auch international nicht zu schämen brauchten. So spielten die German Bonds 1965 bei einer gemeinsamen 4-Tage-Tour die Hollies glatt an die Wand. Und dann gab es da natürlich noch Fats & his Cats aus Frankfurt. Das waren gestandene Männer, die alle schon stramm die Dreißig hinter sich gelassen hatten, in Dinnerjackets auftraten und seit frühster Zeit regelmäßig im Star-Club gastierten. Ursprünglich waren sie eine Tanzkapelle, die auch bei Betriebsfesten und Galabällen aufspielten. Aber sie konnten auch rocken, astrein, sauber und routiniert, nicht von einer englischen Showband zu unterscheiden. Für die üblichen Vergnügungen der anderen Star-Club-Bands hatten Fats und seine Jungs nicht viel übrig. In den Pausen setzten sie sich in die Garderobe, kloppten Skat, leerten ein bis zwei Kisten Bier und eine Flasche Doornkaat oder Weinbrand. Dann wurde wieder eine dreiviertel Stunde gerockt und anschließend beim Skat die nächste Kiste Bier vertilgt.
1967 fand der letzte Band-Wettbewerb statt. Nach einer stürmischen Endausscheidung konnten die Cops & Robbers aus Harburg den Sieg für sich sichern. Doch die ganz große Zeit der Beat-Bands war nun vorbei. Die Gruppe blieb nur im Hamburger Raum ein Begriff und konnte nicht an die Erfolge der Vorjahressieger anknüpfen. Nicht zuletzt auch, weil Manfred Weißleder sich mehr und mehr vom Star-Club zurückzog und mit der Verpachtung wenige Monate später den endgültigen Untergang seines Rock-Tempels einleitete. Doch das ist eine andere Geschichte.
Archiv Rock und Revolte
Der Star-Club Hamburg
13.4.1962 - 31.12.1969
"Cola, Bier - oder raus!"
Fans und Kellner im Star-Club
Zwei Welten existierten im Star-Club. Einmal waren da die Musiker, auf und hinter der Bühne. Und dann gab es die Leute vor der Bühne: das Publikum. Die Fans.
Achim Reichel: «Das Star-Club-Publikum am Anfang war, wie soll ich mal sagen, ziemlich proletariermäßig. Es war reichlich St. Pauli-durchtränkt, Eimsbüttel, Barmbek, so aus der Gegend. Und es gab einige wenige, das waren denn schon so erlauchte Kreise, also sogenannte Exis, die ins Rocklager übergewechselt sind. Wie Astrid Kirchherr und irgendwelche Schülerinnen und Schüler und Kunststudenten, also auch Leute aus wohlbehüteten Familien. Aber im wesentlichen war das schon ein ziemlich rauhbeiniges Publikum.» Rockmusik war 1962 noch Untergrund, Subkultur, der Sound einer kleinen radikalen Minderheit. Dazu noch auf St. Pauli, wo mit der Faust diskutiert und mit dem Messer kassiert wurde, mitten im Kiez-Milieu - das schreckte zunächst die breiten Kreise der Jugend und viel mehr noch ihre Eltern ab. Doch Verbote bewirken meist das Gegenteil, und mit der Zeit kamen sie doch alle.
Einer von ihnen war Frank Dostal, der noch nicht im Traum daran dachte, daß er später einmal als Rattles-Sänger auf der Star-Club-Bühne stehen sollte:
«Ich war ein halbes Jahr nach der Eröffnung zum erstenmal da, vorher war ich nur ein paarmal im Top Ten. In den Star-Club ging man nicht als Bürger-söhnchen, weil es hieß, da seien nur die Rocker. Ich war vorher schon mal in so einem kleinen Lokal in der Freiheit gewesen, und da hab ich sofort eine riesige, blutige Schlägerei gesehen. Und als ich dann hörte, daß im Star-Club nur Rocker seien, die ja damals durchweg sehr gewalttätig waren, bin ich eben nicht hingegangen. Das hat sich aber geändert, als ich hörte, daß die Beatles dort wieder spielten, da hab ich mich dann mal getraut. Und ich war gleich unheimlich begeistert. Was einem bis dahin an Unterhaltung geboten wurde, war doch entweder Fernsehen, Peter Frankenfeld oder so was, oder Jazz, also Dixieland oder Modern Jazz. Und daß da irgendwie so Typen auf der Bühne waren, mit denen man sich wesentlich eher identifizieren konnte und die die Musik live machten, die man nur von Platten her kannte, das hat den wesentlichen Kick ausgemacht. Ich bin dann auch vom erstenmal an mindestens zweimal die Woche im Star-Club gewesen. Das war in den Augen meiner Mutter und sonstiger Verwandter ganz schön gefährlich, so oft nach St. Pauli zu gehen. Aber in Wirklichkeit war das ganz cool, weil die Typen auf St. Pauli und die Portiers immer gleich gesehen haben: Der will zum Star-Club, und da haben sie uns nie dumm angemacht. Lederjacken und so was wurden im Star-Club eigentlich nicht getragen. Die Leute hatten alle Anzüge an, Krawatten und Nyltesthemden. Wer damals dazu noch Cowboystiefel besaß, war ganz besonders progressiv. Sie machten sich sorgfältig zurecht, wenn sie hingingen, das war richtig Ausgehen. In erster Linie ging man ja auch hin, um Musik zu hören und zu tanzen, nicht um rumzuhängen, dazu war der Star-Club zu faszinierend. Jeden Tag war es gerammelt voll. Der Star-Club war für die Jugend so was wie die Dame ohne Unterleib, die totale Sensation, deshalb kamen auch immer so viele.» Dafür gab es auch noch einen anderen Grund. Frank Dostal: «Der Star-Club war schon am Anfang so eine Art Gegenkultur, auch wenn es den Leuten damals nicht so bewußt war. Die gesellschaftlichen Verhaltensnormen, die außerhalb des Star-Club galten, hatten hier keine Funktion. Im Star-Club funktionierte alles viel <jugendlicher> als draußen. Die Eltern hatten hier nichts zu sagen, die einzigen Autoritäten waren die Musiker. Und die Kellner.» Dieter Horns: «Für mich waren das alles Stars, die da spielten. Ich war damals sechzehn und mehr der Typ, der hinten stand, sich alles anguckte und am Anfang um 10 Uhr wieder nach Hause mußte. Es war gar nicht schwierig, die Musiker kennenzulernen. Ich saß oft hinten an der Bar, wo die Bettina . arbeitete, und wenn die Beatles mit ihrem Set fertig waren, kamen sie immer alle zu Betty und haben sich erst mal 'nen Whisky reingezogen und mit den Torten gequatscht. Das war alles sehr beeindruk-kend.»
Natürlich ging es im Star-Club nicht zu wie bei einem Damenkränzchen. Frank Dostal: «Geprügelt wurde da reichlich, und zwar immer kurz und bündig. Die Kellner hatten immer eine lockere Faust, wenn einer nichts trinken wollte, sich ihren Anweisungen nicht fügte, oder wenn besoffene Seeleute Alarm machten. Ich hab mal gesehen, wie ein Kellner einen Schweden mit einem Schlag gegen die Tür vom Notausgang geschmettert hat, daß die aufging und der Kerl durch sie durch hinten auf den Hof flog. Die Kellner und Geschäftsführer waren ja auch alle ganz stämmige Burschen mit breiten Schultern.»
Die Kellner in den weißen Jacken lebten nach eigenen Gesetzen. Einer von ihnen, der anonym bleiben möchte: «Wir wollten in erster Linie verdienen. Also haben wir uns darum gekümmert, daß die Kasse stimmt. Außerdem wurden wir und unsere Umsätze ja auch von der Geschäftsleitung kontrolliert. Oft saß Weißleder versteckt auf dem Balkon und beobachtete uns. Oder er schickte Freunde, die er dafür bezahlte, als geheime Kontrolleure. Weil es meistens für Gespräche zu laut und der Laden auch zu voll war, sind wir oft zu zweit losgezogen. Der eine hatte 'ne Kiste voll Bier und Cola, und ich stand da und guckte die Leute nur an oder deutete mit dem Finger und strengem Blick auf sie. Dann wußten die gleich Bescheid, daß sie jetzt die Wahl hatten: Cola, Bier - oder raus. Wenn einer von denen Ärger machte, waren gleich die ganzen Kollegen da. Der hatte dann keine Chance. Stand irgendwo ein halbvolles Bier herum, dessen Besitzer auf dem Klo war oder wegguckte, hab ich die Flaschen eingesammelt und aus den angebrochenen wieder volle Flaschen gemacht, die dann noch mal verkauft werden konnten, auf eigene Rechnung. Solche Betrügereien gegenüber der Geschäftsleitung haben fast alle gemacht, auch die Barfrauen. Die verkauften hinter ihren Tresen zum Teil Flaschen, die sie sich selbst aus dem Supermarkt mitgebracht hatten. Das war bekannt, aber nur schwer zu kontrollieren.
Wenn irgendwelche Star-Gastspiele liefen, kamen oft Typen zu mir und sagten: «Hier sind 10 Mark, laß doch mal meine vier Freunde durch den Notausgang rein.> Solche Geschäfte haben wir natürlich auch immer gern gemacht.
Später dann haben wir das 50-Pfennig-Ritual eingeführt. An einer Cola oder 'nem Bier verdienten wir nämlich 35 Pfennig. Also brauchte jemand nichts zu trinken, wenn er uns 50 Pfennig gab. Die kassierten wir so zwei- oder dreimal am Abend, er kam billig weg und wir verdienten mehr daran, als wenn er was getrunken hätte. Wer also Bescheid wußte, keinen Ärger machte und sich nicht zu lange an seiner Cola festhielt, hatte mit uns eigentlich keine großen Probleme.»
Probleme gab es nur allabendlich für diejenigen im Star-Club, die noch keine achtzehn waren. Offiziell durfte man erst ab sechzehn herein, aber mit einer wilden Brisk-Tolle über dem Konfirmationsanzug oder Stöckelschuhen, Lippenstift und hochtoupierter Bienenkorbfrisur schafften es einige doch. Um 21 Uhr 50 aber, wenn die Star-Band ihren ersten Auftritt beendet hatte, schlug per Ansage aus dem Hauslautsprecher die Stunde der Wahrheit, die stets etliche Gäste dazu brachte, schlagartig ein paar Jahre älter auszusehen:
«Meine Damen und Herren, in wenigen Minuten ist es 22 Uhr. Alle Jugendlichen unter achtzehn Jahren müssen jetzt den Star-Club verlassen. Die Kellner sind angewiesen, eine Ausweiskontrolle durchzuführen. Personen, die sich nicht ausweisen können, müssen ebenfalls das Haus verlassen. Den Anweisungen der Kellner ist unbedingt Folge zu leisten. In zehn Minuten geht es dann weiter im Star-Club mit . . .»
Dieter Horns: «Dann sind wir immer rauf und runter gerannt oder oben auf den Balkon, immer hin und her, und wir haben immer 'ne Ecke gefunden, wohin wir uns verdrücken konnten, bis die nächste Band wieder spielte. Oder wir gingen raus und kamen eine halbe Stunde später ganz frech wieder zurück.»
Oder Kuno Dreysse, der später sogar selbst Geschäftsführer im Star-Club wurde: «Ich hatte immer ein bißchen Schiß vor den Kellnern. Deshalb hatte ich immer 5 Mark in der Tasche, davon konnte ich zwei Bier bestellen. Eines am Anfang und eins so kurz vor 10 Uhr, damit der Kellner dann an mir vorbeiguckt.»
Der Star-Club wurde zum Mittelpunkt der Welt, der eigenen Welt: «Wir standen da jede Nacht vorne direkt an der Bühne und konnten das Weiße im Auge der Musiker sehen, und die rockten los, und wir boppten mit und hauten mit unseren Bierflaschen dazu den Takt auf die Bühnenbretter. Und wenn eine Nummer wie What'd I Say kam, mit 'nem guten Refrain oder 'ner Echostelle, haben wir alle laut mitgebrüllt. Man kannte zwar immer ein paar Leute im Star-Club, aber meistens war man irgendwo in der Masse eingekeilt, und alle waren tierisch drauf. Mit der Zeit lernte man dann auch ein paar Musiker kennen, und wenn man mit denen dann zu Gretel & Alfons ein Bier trinken ging oder sogar mal hinter die Bühne durfte, war man ganz stolz und fühlte sich wie der King.»
Vor allem dieser direkte Kontakt zu den Musikern im Star-Club war ein einmaliges Erlebnis. «Es traten wirklich alle wichtigen Gruppen auf, alles, was
Rang und Namen hatte. Und man sah die Bands nicht nur einmal, sondern wochenlang, jede Nacht ein paarmal. So dicht wie im Star-Club kam man sonst nirgends an sie ran. Wenn die Musiker auf der Bühne ihren Kopf schüttelten, bekam man den Schweiß ab, und rief man ihnen zu, daß sie diese oder jene Nummer spielen sollten, so taten sie es auch. So eine totale Einheit zwischen Musiker und Publikum wie damals im Star-Club gibt es heute nirgends mehr.»
Faszinierend war auch die Sache mit dem Vorhang: «Kurz bevor die nächste Band begann, bewegte sich der Vorhang schon immer sehr geheimnisvoll. Man hörte, daß sich dahinter etwas tat, ab und zu rülpste auch schon mal jemand unsichtbar ins Mikrofon oder machte sonst irgendwelchen Quatsch. Dann kam von irgendwo hinter der Bühne die Ansage, die Band begann mit ihrer ersten Nummer, und ganz langsam öffnete sich der Vorhang nach beiden Sei ten und zeigte, wer sich dahinter verbarg. Das war jedesmal wie Weihnachten beim Geschenkeauspacken!»
Bald kamen fast eine Million Besucher im Jahr. War ein Jugendlicher in Hamburg, führte ihn sein erster Weg in den Star-Club. Manche reisten sogar aus England, Frankreich und Skandinavien an, nur um ein paar Nächte im berühmten Club an der Großen Freiheit zu verbringen. Verzweifelte Eltern schrieben Briefe und riefen im Star-Club-Büro an, ob ihr ausgerissener Sohn oder ihre verschwundene Tochter nicht gesehen wurde. Je länger die Haare der männlichen Gäste wurden, desto mehr drängten sich vor der Bühne mit der Manhattan-Skyline. Viele von ihnen kamen jahrelang, verbrachten hier ihre Jugend und erlagen Nacht für Nacht der Faszination des dämmrigen Saals und der unaufhörlich rockenden Bands. Hier gab es alles, wonach man hungerte. Man war unter sich und hatte den Sound, der nur einem selbst gehörte. Der Star-Club war ein kleines Stück Freiheit in einer feindlichen Welt, die von Autoritäten, Verboten und Zwängen beherrscht war und alles, was Spaß machte, bekämpfte und zu unterdrücken versuchte. Wie den Rock und den Beat, Sex, die langen Haare und sogar das Jungsein überhaupt.
Im Star-Club aber fand das wahre Leben statt.
Archiv Rock und Revolte
Der Star-Club Hamburg
13.4.1962 - 31.12.1969
«Davon müssen wir Singles machen»
Die Geschichte der Star-Club-Records
Siegfried E. Loch war zweiundzwanzig, als er 1962 als Labelmanager zur Hamburger Plattenfirma Philips kam. Mit Musik hatte er schon länger zu tun gehabt: Als Dreizehnjähriger begann er, Schallplatten zu sammeln, vornehmlich Jazz und Blues. Dann gründete er in Hannover eine eigene Dixieland-Band, die Red Onions. Und mit zwanzig klapperte er als Auslands-Sonderdienst-Vertreter der EMI Hannovers Plattenläden ab.
Bei Philips war Loch bald der «Jazzspezialist» - darunter fiel alles von Xavier Cugat bis Tommy Roe. Doch sein Ehrgeiz ging weiter: Er wollte nicht nur Auslandsrepertoire betreuen und Veröffentlichungen für den deutschen Markt vorbereiten, sondern selbst mit jungen deutschen Künstlern Schallplatten machen. Nach einigen Monaten bekam er seine Chance: Mit Klaus Doldinger, den Loch auf einem Jazzfestival in Düsseldorf getroffen hatte, durfte er eine Bossa Nova-EP aufnehmen. Dann, im April 1962, sah Sigi Loch in Hamburg die «Dorfmusik»-Plakate: der Star-Club machte auf. Loch: «Ich bin aber nicht gleich am Anfang hingegangen, sondern erst so ein halbes Jahr später. Da war nämlich ein Plakat <Fats Domino kommb, und das konnte ich einfach nicht glauben. Ich dachte erst, das sei wieder eine der üblichen St. Pauli-Übertreibungen.
Aber ich ging hin, und Fats Domino war wirklich da, und ich bekam sofort diese ganze wahnsinnige Atmosphäre mit. Da ist bei mir gleich der Groschen gefallen. Ich ging am nächsten Tag in die Firma und erzählte allen, wie toll es im Star-Club ist und daß man da unbedingt etwas tun muß, das ist die Zukunft. Erst mal haben sie mich natürlich ein bißchen belächelt, aber ich ließ nicht locker und rief einfach mal den Weißleder an. Wir verabredeten uns in seinem Büro.
Am Anfang war ich natürlich etwas verstört. Das Büro lag im zweiten Stock des Star-Club-Hauses über dem Erotic Night Club, und diese Atmosphäre kannte ich überhaupt nicht. Aber ich erzählte ihm dann, ich sei von Philips und der Meinung, daß im Star-Club etwas so Wichtiges geschehe, daß man davon unbedingt Aufnahmen machen müßte. Interessenten für solche Platten gäbe es sicherlich. Weißleder hatte nun ein großes Interesse daran, daß sein Star-Club populär wird, und Platten waren da für ihn natürlich eine gute Gelegenheit. Wir sahen uns dann den Laden an, und ich meinte, daß es technisch eigentlich gehen müßte. Meine Idee war, im Star-Club eine ganze Woche lang die Aufnahmeapparaturen einzubauen und dann alles aufzunehmen, was auf der Bühne passierte.
Ich ging zurück zur Philips und versuchte nun, meinen Bossen die Idee zu verkaufen. Erst wollten sie nicht so recht, aber weil meine Bossa Nova-EP ganz gut lief und ich auch durch meine andere Arbeit ein bißchen Reputation gewonnen hatte, meinten sie schließlich: <Na gut. Aber die Künstler dürfen nichts kosten, und eine Lizenz können wir auch nicht zahlen, sonst wird das alles zu teuer!> Weißleder war damit im Prinzip einverstanden: <Daß die Musiker umsonst spielen, darum kümmere ich mich. Aber wenn die Plattenverkäufe die Kosten eingespielt haben, möchte ich gern eine Lizenzzahlung haben. Und noch eines: Wenn ihr hier schon eine Woche lang aufnehmt, will ich, daß anschließend auch wirklich eine Platte erscheint!) Also machten wir einen Deal: Wenn die LP mehr als 10000 Stück verkauft - das war damals eine gigantische Menge, nicht zu vergleichen mit heute -, bekam er etwa fünf Prozent vom Großhandelspreis. Das war wirklich sehr gering. Und um mir zu beweisen, daß man mit ihm vielleicht etwas vorsichtiger umgehen muß, stemmte mich Weißleder, als ich vor ihm die Treppe zu seinem Büro hochging, mal kurz an beiden Armen in die Luft und hob mich ein paar Stufen, damit ich merkte: <Aha, paß auf. Don't jive around with Mister W!>
Die Verträge wurden gemacht, und Weißleder besorgte die Abtretungserklärungen der Bands, daß sie mit Aufnahme, Auswertung und Veröffentlichung ihrer Songs zum Nulltarif einverstanden waren. Die Gruppen unterschrieben ohne Ausnahme, denn sie alle hatten damals keine Plattenverträge, und das war die Chance, endlich eine eigene Scheibe zu machen. Also bauten wir im Star-Club die Technik ein - das war damals eigentlich lachhaft, das Gerät war nicht größer als ein Koffer, ganz einfach also - und stellten einen Übertragungswagen hinten auf den Hof. Der Tontechniker sah sich alles an und meinte, hier Stereo aufnehmen geht nicht, machen wir also Mono.
Bald stellte sich heraus, daß es sehr schwer war, alles live mitzuschneiden. Deshalb bestellten wir die Bands schon für nachmittags, wenn der Star-Club noch leer war, da war die Akustik einfach besser. Nach jeder Aufnahme kamen die Gruppen hinten zu uns in den Wagen, hörten sich ihre Stücke an und bettelten: <Hoffentlich könnt ihr was davon nehmen.) Ich weiß noch genau, daß der Chris Curtis von den Searchers ganz wild darauf war, seine Band mit auf die LP zu bekommen. <Mensch, Sigi>, meinte er, <wenn wir nach England zurückkehren und sagen können, wir haben in Hamburg schon eine Plat-
te, können wir zu Hause viel leichter einen eigenen Plattenvertrag kriegen. Also bitte, bitte, und wenn es nur ein einziger Song auf der LP ist!> Insgesamt habe ich damals mit den Searchers 23 Nummern aufgenommen, darunter war auch Sweets For My Sweet.
Es waren unglaubliche Mengen Tonband, die wir in dieser Woche bespielten. Kein Wunder - von nachmittags um 4 bis morgens um 6 Uhr hatten wir eine Woche lang alles mitgeschnitten. Also saß ich anschließend wochenlang im Studio, um alles abzuhören und eine LP daraus zusammenzubauen. Das ging hart an die Kondition, denn tagsüber ab 9 Uhr hatte ich ja meinen regulären Job als Labelmanager. Da blieb nur nachts und am Wochenende Zeit für die Aufnahmen und die Auswertung. Ich habe in der Zeit jede Nacht höchstens vier Stunden geschlafen.
Ein Problem tauchte beim Zusammenschnitt auf: Die kommerziellsten Songs brachte Tony Sheridan, aber der hatte schon einen Vertrag mit der Polydor (wo bereits seine Beatles-Aufnahmen und Skinny Minny erschienen waren). Ich versuchte also, für diese Platte von Polydor eine Ausnahmegenehmigung für Tony zu bekommen, und sie gestatteten es, allerdings unter dem Pseudonym <Dan Sherry>. Schließlich hatte ich alles zusammen und ging damit ganz stolz in die Abhörkommission der Philips, die über die Veröffentlichungen entschied. Ich legte das Band auf- und die Gesichter wurden immer länger. Irgendwo mittendrin kam dann das Kommando: <Genug! Das bringen wir nicht raus!> Ich war völlig geschockt und dachte an Herrn Weißleder und die möglichen Folgen für mich, wenn die versprochene Platte nicht erscheint. (Später lernte ich Weißleder besser kennen und merkte, daß meine Furcht eigentlich unbegründet war. Aber damals hatte ich schon gehörigen Respekt und ein bißchen Angst vor dem <König von St. Pauli>.) So kämpfte ich für die LP und wies darauf hin, daß wir einen Vertrag haben und sie einfach veröffentlichen müssen. Zum Glück gab es damals gerade die Twist-Welle, und jemand kam auf die Idee: <Nennen wir es einfach ,Twist im Star-Club'.> Die Philips-Leute waren immer noch recht reserviert, aber schließlich meinten sie: <O. k., aber wir machen es so billig wie möglich. Einfach eine schwarzweiße Schrifthülle als Cover, das kostet am wenigsten.) Ich hatte nun während der Aufnahmen im Star-Club auch fotografiert, und so bettelte ich um ein Bild auf dem Cover, ich würde es der Firma auch schenken. Sie akzeptierten, und so kam Tony Sheridan auf die Hülle der ersten Star-Club-LP.
Kurz nach dieser Konferenz war eine Vertriebstagung der Philips in Bad Homburg. Alle Vertreter aus dem ganzen Bundesgebiet waren da und wurden über das neue Repertoire der Firma informiert. Ich mußte dort einige Vorträge halten, und obwohl ich keinen Auftrag dazu hatte, stellte ich am Schluß auch meine Star-Club-LP vor. Meine Bosse blickten mich böse an, aber plötzlich gab es mitten in der Vorführung einen Riesenapplaus. Die Vertreter sprangen von ihren Sitzen, waren begeistert und forderten sofort: <Davon müssen wir Singles machenb In diesem Moment stand mein Chef auf, der vorher von der Platte gar nicht begeistert war, und machte clever eine totale Kehrtwendung: <Meine Herren, ich kann Sie beruhigen. Wir wissen ja auch, was läuft, sonst hätten wir Ihnen diese Platte gar nicht präsentiert. Die Singles sind bereits in Fertigung!>
Damit war das Eis gebrochen. Die LP erschien, und anschließend kam eine ganze Serie von Singles unter dem Motto <Twist im Star-Club>. Es wurde Werbung dafür gemacht, und alles lief gut an. Dann bekamen wenig später die Searchers in England einen Plattenvertrag, und ihre erste Single Sweets For My Sweet schoß in die Hitparade und wurde Nr. l. Die gleiche Nummer hatten wir zum Glück auch im Star-Club aufgenommen, und unsere Version wurde zum Top-Hit auf dem Kontinent. Und wir konnten auch gleich eine ganze Searchers-LP veröffentlichen. Songs dafür hatten wir ja genug.» Die erste Aufnahmesession im Star-Club wurde für Philips ein Bombengeschäft. Mehr als l Million Einheiten (Singles und LPs) wurden davon im Laufe der Jahre weltweit verkauft. Und das zu Traumkonditionen: Die Bands bekamen nichts, Weißleder hatte nur seine fünf Mini-Prozent, und Siegfried Loch erhielt als Angestellter des Hauses keinerlei Producerlizenzen. Sigi Loch: «So 1966 schrieb ich mal meinem Chef eine Hausmitteilung, ob ich bei diesem großen Umsatz nicht eine Sonderprämie haben könnte. Daraufhin bot mir die Philips 500 Mark an. Die habe ich aber abgelehnt.» Der Erfolg der «Twist im Star-Club»-Serie hatte Folgen. Weißleder schloß mit Loch einen Vertrag und ließ ihn die nächsten zwei Jahre alle weiteren Star-Club-Platten exklusiv produzieren. Allerdings nicht mehr live im Club selbst, sondern auf der anderen Seite der Elbe in der Harburger Friedrich-Ebert-Halle. «Das war ein Konzertsaal, den die Philips als Studio benutzte. Die Bands spielten oben auf der Bühne, der Aufnahmeraum war im Keller und winzig. Zur Gruppe auf der Bühne gab es keine Sichtverbindung, wenn ich was von ihnen wollte, mußte ich immer erst treppauf, treppab. Dort nahm ich unter anderen Lee Curtis, die Rattles, King Size Taylor, lan & the Zodiacs, die Liverbirds und die Rivets auf.»
Nur zweimal noch wurde direkt im Star-Club mitgeschnitten. Eine dieser Produktionen ist inzwischen ein Klassiker: Jerry Lee Lewis live im Star-Club Hamburg, begleitet von den Nashville Teens. «Das ist unsere technisch beste Aufnahme, die Qualität ist hervorragend. Dabei haben wir damals nur das Band mitlaufen lassen, 2-Spur-Schnürsenkel, bei dem sich anschließend kaum noch etwas verbessern ließ. Die zweite Live-Aufnahme ist ein komplettes Konzert mit Gene Vincent, das wir aus vertraglichen Gründen leider nicht veröffentlichen konnten. Heute sind die Bänder spurlos verschwunden, niemand weiß, wo sie sind. Wahrscheinlich hat irgend jemand sie wieder gelöscht.»
Die Aufnahmearbeiten mit den Star-Club-Bands waren unterschiedlich. Sigi Loch: «Einige von ihnen, wie King Size Taylor oder Tony Sheridan, spielten schon damals auf sehr hohem musikalischen Niveau. Sie waren exzellente Musiker, die keine Probleme machten. Andere Gruppen dagegen, wie die Liverbirds oder die Rivets, waren musikalisch totale Analphabeten. Sie waren zwar wahnsinnig nett und hatten auch eine Ausstrahlung, aber im Grunde lagen sie eher auf dem Level der heutigen Teenagerbands, die ganz junge Leute ansprechen und bei denen das Drum und Dran, die Kostüme wichtiger waren als die Musik selbst. Sie konnten einfach nicht richtig spielen, und um sie ein bißchen professioneller klingen zu lassen, war es nötig, für ihre Produktionen Studiomusiker als Stütze zu engagieren. Ich hatte da meinen Musiker-Stamm, der in solchen Fällen bereitstand: Klaus Doldinger alias Paul Nero (sax), Ingfried Hoffmann (keyb), King Curtis (sax), Klaus Weiss (dr). Die einzige deutsche Gruppe, die schon damals versuchte, etwas Eigenständiges zu machen, waren die Rattles. Sie waren unheimlich kritisch, da wurde viel gefummelt, und meist entstand erst im Studio der endgültige Song. Sie mühten sich schon damals sehr, ernsthafte Musiker zu sein, und besaßen Willenskraft und Potenz. Das Phänomenale war, daß die Rattles - wie fast alle deutschen Musiker zu der Zeit - so gut wie überhaupt kein Englisch sprachen und ihre Texte nur phonetisch nachempfanden. Im Laufe der Zeit wurde das zwar besser, aber am Anfang war es das totale Radebrechen. Sie waren zum Beispiel nicht in der Lage, ihre englischen Texte ohne Musik aufzusagen, und wußten oft überhaupt nicht, was sie da sangen. Erst später wurden richtige Texte gemacht, da hat man sich Originaltexte besorgt und neu wieder zusammengebaut, indem man einfach Zeilen aus anderen Texten anders zusammengesetzt hat, bis man einen neuen Text hatte.» Zwei Jahre lang produzierte Siegfried E. Loch die Star-Club-Bands, dann gab es Komplikationen. «Eines Tages funkte der Münchner Musikverleger Hans R. Beierlein dazwischen. Er schloß mit Weißleder einen neuen Vertrag und übernahm die Produktionen für die Konkurrenzplattenfirma Ariola. Daraufhin verlor ich fast alle Gruppen, nur die, die direkt bei Philips unter Vertrag waren (Rattles, Rivets, lan & the Zodiacs), blieben weiterhin bei mir. Die Rattles, die von Weißleder gemanagt wurden, gingen wenig später ebenfalls zur Ariola. Aber dort waren sie so unzufrieden, daß Weißleder bald wieder bei mir auftauchte und mich bat, doch künftig wieder der Hausproduzent zu sein. Als dann der Ariola-Vertrag ausgelaufen war, legte ich Manfred Weißleder ein neues Konzept vor: Star-Club-Records.
Das sollte ein eigenes Label sein, auf dem nicht nur die alten selbstproduzierten Star-Club-Bands, sondern auch interessante englische Produktionen von Gruppen, die im Star-Club auftraten, erscheinen sollten. Damals ging es gerade los mit den Walker Brothers, den Pretty Things, mit Dave Dee, Dozy, Beaky, Mick & Tich und all diesen Hitbands, und das war für Weißleder natürlich sehr attraktiv. So wurden die Star-Club-Records zu Weißleders privatem Hauslabel, das er gegen eine Lizenzzahlung exklusiv an die Philips, die sich inzwischen Phonogram nannte, abgab. Später, als ich schon nichts mehr damit zu tun hatte, verkaufte er dann das Label mit allen Rechten an die Phonogram. Irgendwann 1966/67 wollte ich mich dann beruflich etwas anders als bisher orientieren. Ich hörte bei Philips auf und schloß einen Vertrag mit Weißleder als Exklusivproduzent für seine Star-Club-Records. Etwas später ging ich nach München und gründete dort die deutsche Tochter der US-Plattenfirma Liberty. Anfänglich produzierte ich die Star-Club-Bands noch weiter, aber im Laufe der Zeit wurde das etwas schwierig, immer für die Aufnahmen nach Hamburg zu fliegen. Zumal die Kosten ständig stiegen - mehr als 15000 bis 20000 Mark durfte damals eine LP nicht kosten. Also beschloß ich, mich künftig nur noch um meine Münchner Firma zu kümmern und das Star-Club-Kapitel abzuschließen. Die letzte Band, die ich für Weißleder produzierte, waren die Remo Four. Die Gruppe habe ich damals sehr verehrt, zumal sie auch sehr meinen eigenen musikalischen Intentionen entsprach: Sie waren mehr nach Rhythm & Blues und Jazz orientiert. Wir nahmen die LP in Maschen auf, im Keller eines Hauses auf 2-Spur-Schnürsenkel, die ganze LP in einer Nacht. Am nächsten Morgen, so gegen 11 Uhr, waren wir fertig und alle total geschafft. Wir legten uns in den Garten vorm Haus und streckten wie tot alle viere von uns. In diesem Moment kam der Fotograf vorbei, der das Cover aufnehmen sollte. Er machte ein paar Schüsse von den völlig kaputten Musikern, und als ich die Fotos kurz darauf auf meinen Schreibtisch bekam, wo die vier Remos ganz erledigt und finster dreinschauen, sagte ich: <Dieses Bild kommt ganz groß, und dann nennen wir die Platte ,Smile'.> Doch seit meinem Fortgang tat man bei Philips nicht mehr viel für das Star-Club-Repertoire, es lief nur noch nebenher. Weil ich so auf die Gruppe stand, organisierte ich dann noch aus eigener Tasche eine Presseparty für sie. Aber es brachte nicht viel, <Smile> blieb damals in den Regalen liegen.
Heute ist <Smile> die gesuchteste Star-Club-LP überhaupt. Vor einigen Monaten war in Hamburg eine Sammlerplatten-Börse, und zwei meiner alten Produktionen erzielten dort die höchsten Preise aller angebotenen LPs. Das eine war das erste Rivets-Album, die andere Platte war <Smile>. 500 Mark werden inzwischen für sie geboten. Das hat mich ziemlich stolz gemacht!»
Archiv Rock und Revolte
Der Star-Club Hamburg
13.4.1962 - 31.12.1969
Statt Striptease Beatmusik
Manfred Weißleder und sein Star-Club-Imperium
Nur mit einem kleinen Handkoffer bewaffnet, kam Manfred Weißleder Mitte der fünfziger Jahre aus Dortmund nach Hamburg. Ein paar Jahre später war der gelernte Flugzeug-Elektromechaniker Besitzer von mehr als einem Dutzend Strip- und anderen Lokalen auf St. Pauli. Mit vierunddreißig verpachtete er seine Läden, kaufte das Haus Große Freiheit Nr. 39 und sattelte um von Sex auf Rock. Er eröffnete den größten Rockclub, den Deutschland bis dahin gesehen hatte, und machte ihn in kürzester Zeit mit einem erstklassigen Programm, viel Engagement und geschickter Werbung zu einem Musiktempel, der auf der ganzen Welt einzigartig dastand.
Dabei entstand der Star-Club anfangs praktisch nur aus Zufall. Manfred Weißleder: «Das ist an sich ein Witz. Ich besitze ja noch andere Lokale, und die liegen in einem Hof an der Großen Freiheit, dem sogenannten Paradieshof. Von der Freiheit aus führte nur ein Torweg in diesen Hof, das war der Baupolizei zu wenig. Sie wollte noch einen zweiten Ausgang, und den konnte ich nur schaffen, indem ich das Haus nebenan kaufte, in dem zu der Zeit noch ein Kino war. Der Star-Club war also quasi nur ein Notausgang für die anderen Lokale. Allerdings habe ich nach Eröffnung des Star-Club dann ziemlich schnell bemerkt, daß da eine große Marktlücke bestand und daß man damit Geschäfte machen konnte. Das habe ich dann gleich entsprechend ausgeweitet.»
Manfred Weißleder war Geschäftsmann, der stets seinen Vorteil deutlich sah und zu nutzen verstand. Der Star-Club und die später angegliederten Unternehmen und Unternehmungen waren keine Wohlfahrtsinstitute und -aktionen, sondern auf Wachstum und Gewinn ausgerichtet. Aber Manfred Weißleder hatte echtes Engagement und war auch ein wenig Idealist, der von großen Dingen träumte und auf der Seite von Musikern und Publikum stand: «Die Idee des Star-Club war die, daß nicht eine Gruppe sieben Stunden lang überstrapaziert wird, sondern daß man etwa sieben Gruppen jeweils eine Stunde lang spielen läßt. Denn diese Musik zu interpretieren ist eine solche Anstrengung, daß es niemand länger als 'ne knappe Stunde aushält, in einem Streifen jedenfalls.
Wir hatten früher auch ein ganz anderes Geschäftsprinzip gehabt als heute in diesen Betrieben, wo vergleichbare Gruppen auftreten. Wir erhoben zum Beispiel kaum Eintritt, das höchste waren 5 Mark, das waren dann aber auch Leute wie Fats Domino und Bill Haley und solche Sachen, die selbst am Abend 60000 Mark kosten. Da habe ich immer Geld zugesetzt bei diesen Star-Auftritten. Das konnte ich, weil ich immer noch diese anderen Läden da habe. Und das können die Leute heute vielleicht nicht, deshalb gibt es so was wie den Star-Club auch nicht mehr. Also, ich habe an den normalen Tagen, den Alltagen, Geld verdient, und an den Tagen, wo Stars auftraten, habe ich regelmäßig zugesetzt.»
Trotzdem holte Weißleder alles in seinen Club, was Rang und Namen hatte oder zumindest vielversprechend war: «Als ich merkte, welchen Zuspruch der Star-Club fand, bin ich sofort nach England gefahren und habe da weitere Gruppen ausfindig gemacht. Später habe ich dann regelrechte Competi-tions abgehalten, habe die Bands vorspielen lassen. Das ist natürlich ein Nachteil, weil sie dann zwei oder drei Nummern einüben und nicht ihren wirklichen Standard bringen, aber es ging nicht anders. Ich war in Liverpool inzwischen bekannt, wenn ich da ankam, wurde ich gleich von irgendwelchen Managern verfolgt. Und ich habe mich als Unbekannter in irgendwelche Dancing Halls gesetzt, mitgehört und dann die Gruppen angesprochen. Wir haben immer nur selbst Gruppen eingekauft, nie über Agenturen gebucht, mit Ausnahme der großen Stars, insbesondere aus Amerika, die man praktisch nur über Agenturen buchen kann. Wir haben ja praktisch alle Stars gehabt, die es in der Zeit gab, mit Ausnahme von Elvis Presley. Aber der trat sowieso nicht auf zu der Zeit. Der machte nur Filme, auch als er aus der Armee entlassen wurde. Sein Manager, der Colonel Parker, lehnte also Live-Auftritte ab zu der Zeit.»
Auf diese Weise schlug Weißleder dem Rock und Beat in Deutschland im beispiellosen Alleingang die erste große Bresche in die erstarrte scheintote Front des Unterhaltungsschmalzes der Erwachsenenwelt, die Alltag und Platten, Funk, Fernsehen, Film und Konzerte damals diktatorisch und ausschließlich beherrschte und an Gruppen höchstens das Medium-Terzett akzeptierte. Manfred Weißleder stand radikal auf der Seite von Rock 'n' Roll und Jugend und kämpfte für sie; er wollte alles und erreichte viel. Er trat an vorderster Front an gegen Vorurteile und die jahrelange Unterdrückung der Musik, die Teil eines neuen Lebensgefühls war:
«Jedem nüchtern denkenden Menschen ist ein Beatle-Haircut lieber als der militärische Plätzchenschnitt unserer jüngeren Geschichte», schrieb er in der ersten Ausgabe seiner Star-Club News. «Und elektrische Gitarren erzeugen einen angenehmeren Klang als das Landsknechtsgetrommel und die Fanfaren der schon wieder gen Ostland drängenden neuen Jugendverbände. Auch wenn diese vorgeben, für eine Freiheit zu tönen, in der mancher dem Nächsten sogar seinen Haarschnitt und seinen Musikgeschmack vorschreiben will!»
Von jugendlichen Ostlandmarschierern hatte er ohnehin die Schnauze gestrichen voll. Als Manfred Weißleder elf Jahre alt war, brach der Zweite Weltkrieg aus. Mit sechzehn lag er mit einem Karabiner im Dreck vor Berlin, um das Großdeutsche Reich vor dem Ansturm der Russen zu bewahren. Mit siebzehn erlebte er den Zusammenbruch und dann die Zeit des Wiederaufbaus, Jahre, in denen man als Jugendlicher nicht viel zu lachen hatte und es trotzdem versuchte. In einer Star-Club News beschreibt er eine Kirmesrangelei der Nachkriegszeit, wo er mit Freunden immer versuchte, den frischgebackenen deutschen Hilfspolizisten die Karabiner zu klauen: «Der war eigentlich ganz link, unser Rabbatz. Aber Spaß gemacht hat's trotzdem. Das alles habe ich euch erzählt, damit ihr nicht meint, ich sei eine von diesen Flaschen, die sich heute hinstellen und große Reden halten, sie hätten so was früher nicht gemacht. Glaubt ihnen nicht. Die lügen!» Er hatte die gleichen Erfahrungen gemacht wie die Halbstarken, für die er 1962 den Star-Club eröffnete. Und er hatte sie im Gegensatz zu vielen anderen Leuten nicht vergessen: «1945 haben die scharfen Hunde von der Streifen-Hitlerjugend meine Schulkumpels gegriffen und ihnen 'ne Glatze geschnitten, wenn sie abends vorm Fliegeralarm am Bunkereingang <jazzten>. So nannten diese verklemmten Heinis es, wenn die Jungs mal auf einem altersschwachen Akkordeon die treudeutschen Schlager etwas flotter spielten als Michael Jary im Wehrmachts-Wunschkonzert» - so ein Unterschied war das gar nicht zu den Mittsechzigern, als beatlemähnige Jungs auf offener Straße und in der Schule überfallen, festgehalten und ihnen mit Gewalt die langen Haare abgeschnitten wurden. Es war also viel zu tun, viel aufzuholen, viel zu verändern. Und natürlich auch viel zu verdienen. Weißleder schuftete und kämpfte unermüdlich, brachte den Rock und die Stars nach Hamburg, von denen man woanders in Deutschland nur träumte. Mit Nachwuchs- und Band-Wettbewerben lockte er die Amateur-Bands aus ihren Kellern und Garagen, machte Mut, gab ihnen Auftrittsmöglichkeiten und damit die Chance zur Entwicklung. Nach 15 Monaten hatte er den Star-Club zu einer weitbekannten Institution etabliert, zum Rockzentrum mit internationalem Renommee.
Manfred Weißleder: «Alle Gruppen aus England baten uns um Nachweise, daß sie bei uns gespielt hatten. Das traf sogar auch auf Stars zu, die aus Amerika kamen, zum Beispiel Chuck Berry, Bill Haley, Fats Domino und die Leute. Wir hatten damals so 'ne Spritzschablone, mit der wir denen mit Farbspray auf ihre Instrumentenkoffer das Star-Club-Zeichen aufsprühen konnten. Das haben die also immer als erstes verlangt, vor der Gage. Das war praktisch so: Diese unbekannten Gruppen kamen hier rüber, haben 'ne Zeitlang gespielt, und wenn sie nach England zurückgingen, war das praktisch 'n Garantieschein, daß die da drüben groß rauskamen. Wer im Star-Club war, war eben wer und bekam Engagements. Das hat auch den Grund gehabt in der Qualitätssteigerung der Musik, dieses Nebeneinander von vielen Gruppen, die alle miteinander konkurrierten, und dazwischen noch die Stars, von denen man was lernen kann. Das hat sicher das Niveau gehoben bei den Bands, nehme ich an.»
Der durchschlagende Erfolg des Star-Club ließ bald auch in anderen deutschen Städten Rockclubs sprießen. Doch auch wenn sie, wie zum Beispiel der Star-Palast in Kiel, von der Innendekoration her den Club an der Großen Freiheit fast haargenau kopierten, kam keiner von ihnen an das Hamburger Original heran. Weißleder nutzte den beginnenden Club-Boom und vermietete den Namen «Star-Club» für 1000 Mark im Monat an verschiedene Lokale überall im Lande. So gab es bald Star-Clubs in Berlin, Köln, Bielefeld, Kiel, Flensburg, Bremen, Karlsruhe, «und es gab auch einen in Mombasa in Afrika!» (Weißleder). Das hatte nicht nur den Erfolg einer regelmäßigen Nebeneinnahme und massiver Zusatzwerbung fürs Stammhaus an der Großen Freiheit, sondern auch noch einen anderen Effekt: Die Star-Club-Ableger waren verpflichtet, ihre Bands bei Weißleder zu buchen: «Wir hatten eine Anzahl guter Gruppen aufgetan, die wir dauernd in Arbeit halten mußten. Das konnten wir nicht alleine in Hamburg.»
Der Star-Club wurde zum Imperium. Er beschaffte Bands, schickte sie durchs Land, managte einige von ihnen auch (so die Rattles, die Liverbirds, Lee Curtis und einige Sieger der Band-Wettbewerbe). Es gab Zweig-Star-Clubs, Star-Club-Tourneen und Sondergastspiele, vornehmlich in der Ostseehalle Kiel und in der Deutschlandhalle Berlin, unter anderem mit Jerry Lee Lewis und Chuck Berry. Es gab Star-Club-Anstecknadeln und -Aufkleber, T-Shirts und Pullover, Reisetaschen und Kopftücher mit dem Star-Club-Emblem. Es gab Star-Club-Schallplatten und vom August '64 an sogar eine eigene Zeitung, die freche und aggressive Star-Club News. Eine solche totale Vermarkte hatte zuvor noch kein Club zustande gebracht. Der Ruhm des Star-Club stieg von Tag zu Tag, und es sah so aus, als ob Manfred Weißleder der Brian Epstein Deutschlands werden würde, der alles Rockgeschehen im Lande unter Kontrolle hat.
Doch dann kam Amtmann Falck, fünfundvierzig, seines Zeichens Leiter des Wirtschafts- und Ordnungsamtes Hamburg-Mitte, von der Presse der «eiserne Besen von St. Pauli» genannt, von Weißleder auch «vielgepriesener Standgerichtsexperte für Gastwirtsexekutionen». Der studierte die Akten, die Polizei und Behörden über den Club angelegt hatten, und entschied: Das Maß ist voll! Manfred Weißleder kam auf seine Abschußliste. Schon von Anfang an hatten die Behörden den Star-Club auf dem Kieker gehabt. Wer sich für die Jugend einsetzt, handelt und tatsächlich etwas nicht Staatsgelenktes auf die Beine stellt, ist für die Gesellschaft und Obrigkeit automatisch suspekt. Vor allem, wenn dies im rauhen Milieu von St. Pauli stattfindet. Als erstes untersagte das Ordnungsamt Veranstaltungen am Sonntagnachmittag für Jugendliche von zwölf bis sechzehn, die man damals wie heute als unreife Kleinkinder ansah und behandelte. Polizei und Jugendschutztrupp wurden Dauergast (allein 1963 gab es 90 Polizeieinsätze). Schon bald wurde der Star-Club schärfer kontrolliert als die wirklichen Lasterhöhlen von St. Pauli. Am 18. Juli 1963 um 2 Uhr 35 holte man zum großen Rundumschlag aus: 100 Polizisten stürmten den Star-Club und inszenierten eine Großrazzia, wie es sie zuvor auf St. Pauli noch nie gegeben hatte. 60 Personen, hauptsächlich Touristen, wurden unter scharfer Bewachung abtransportiert. Zum Schluß sah die Strecke der Polizei so aus: fünf Jugendliche unter achtzehn. Drei ausgerissene Fürsorgezöglinge. Die zehn Musiker der Undertakers ohne Aufenthaltserlaubnis, die jedoch schon bei der Fremdenpolizei beantragt war. Ein als vermißt gemeldetes sechzehnjähriges Mädchen. Und eine Neunzehnjährige, gegen die ein Ermittlungsverfahren wegen «Fälschung der Personalpapiere» eingeleitet wurde. Insgesamt also viel Aufwand und viel Lärm um nichts. Weißleder, der schon in seiner Sexlokal-Zeit mit Gesetzen und Vorschriften extrem pingelig war, um nicht von Amts wegen schließen zu müssen - so baute er für seine Stripperinnen extra einen Zeitschreiber ein, der genau festhielt, wie lange die letzte Hülle fiel -, wurde daraufhin noch vorsichtiger. Die Club-Angestellten wurden vergattert, so genau wie noch nie die Ausweise der Besucher zu kontrollieren. Und einmal fragte er bei der Polizei sogar an, ob es gestattet sei, sonntags ein Klavier über die Große Freiheit zu tragen.
Jetzt aber besaß Falck stärkere Argumente, um gegen den ungeliebten Club vorzugehen. Seit der Gründung 1962 nämlich hatte es im Club öfter einmal eine Prügelei gegeben. Aktenkundig wurden 1962 eine, 1963 sieben und bis Juni 1964 noch mal acht Schlägereien. Hauptakteure dabei waren stets die Kellner, die sich auf diese Weise mit Nervern, Betrunkenen und Nicht-Trinkern auseinandersetzten. Wegen dieser Tätlichkeiten, Verstößen gegen das Jugendschutzgesetz und angeblicher Steuerschulden entzog Falck am 11. Juni 1964 Manfred Weißleder die Star-Club-Konzession. Bis zum 22. Juni hatte der Club endgültig zu schließen.
Falck: «Das Faustrecht auf St. Pauli muß ein Ende haben. Nicht die Gäste, sondern die Kellner brechen im Star-Club immer wieder Prügeleien vom Zaun. Das größtenteils vorbestrafte Personal übt vielfach eine Art Selbstjustiz, statt das zuständige Polizeirevier zu benachrichtigen. Dafür ist der Inhaber verantwortlich. Es ging einfach nicht so weiter. Sicherheit und Ordnung auf St. Pauli gehen vor!» Weißleder kämpfte mit allen juristischen Mitteln, damit ihm nicht der Boden unter den Füßen, die Basis seines Imperiums, weggezogen wurde. Er legte gegen den Entscheid sofort Einspruch ein und rechtfertigte sich: «In den 26 Monaten haben wir nur 16 Schlägereien gehabt, und das bei weit über 2,5 Millionen Gästen.» Der Konflikt schlug Wellen. Tagelang füllte die Auseinandersetzung Falck/Weißleder die Schlagzeilen aller großen Zeitungen überall im Lande. Selbst im Fernsehen traten die beiden Kontrahenten gegeneinander an. Tausende von Sympathiebekundungen und Hoffnungswünschen trafen im Star-Club-Büro ein. Die Welt am Sonntag bangte unter der Überschrift «Stimme der Jugend: Ja zum Star-Club»: «Was werden jene jungen Leute statt dessen unternehmen, wenn sie am Abend nicht mehr ihren Twist-Schuppen aufsuchen können? Auch wenn ein neuer Pächter den Betrieb weiterführt, bleibt eine andere Überlegung: So zwielichtig die Person Manfred Weißleder dem erscheinen mag, der die Nachrichten über Schlägereien und andere Unkorrektheiten im Star-Club verfolgt hat, so war er es doch, der den Wagemut und das Selbstvertrauen besessen hat, immer wieder Bands und Show-Musiker von internationalem Ruf nach Hamburg zu verpflichten und dafür horrende Gagen zu riskieren. So wurde Hamburgs Star-Club nicht nur zu einer populären Massenvergnügungsstätte, sondern auch zu einer Marke, die im internationalen Musikgeschäft in hohem Kurs steht. Damit dürfte es nun wohl aller Voraussicht nach bald vorbei sein.» Dagegen sagte der Leitende Regierungsdirektor Dr. Becker von der Hamburger Jugendbehörde genau das, was in den Amtsstuben gedacht wurde: «Man sollte Manfred Weißleder auf keinen Fall zu einem Märtyrer machen. Er ist Geschäftsmann und Lokalinhaber wie viele andere auch, und man sollte nicht sagen, daß er sich besonders für die Jugend eingesetzt habe. Der Star-Club ist nicht gut und ist nicht schlecht. Keineswegs ist er ein Zentrum für die Jugend.»
So bestätigte dann das Verwaltungsgericht auch den Konzessionsentzug und wies Weißleders Einspruch zurück. Am 23. Juni 1964 waren die Pforten des Star-Club geschlossen.
Die Gäste, die am Abend kamen, standen vor versperrten Türen. Sie setzten sich auf der Großen Freiheit nieder und forderten in Sprechchören: «Star-Club auf!» Immer mehr kamen, bis schließlich die Große Freiheit fast total blockiert war. Auf der Reeperbahn staute sich der Verkehr. Polizei rückte an, es sah nach einer Kraftprobe aus. Doch der Protest blieb friedlich, schließlich zerstreute man sich. Nur Bild fragte tags darauf entsetzt, warum die Polizei die Club-Demonstranten nicht per Knüppel auseinander trieb.
Doch die Zwangspause dauerte nur zwei Tage. Am 25. Juni war.der Eingang wieder offen, rockten wieder die Bands. Manfred Weißleder hatte sich etwas einfallen lassen: Die Konzession war jetzt auf Hans Bunkenburg übertragen. Bunkenburg füngierte offiziell als Geschäftsführer der Star-Club GmbH, die wiederum persönlich haftender Gesellschafter der Weißleder KG war, die nach wie vor von Weißleder geleitet wurde. Im Klartext: Alles blieb praktisch beim alten, Weißleder behielt alles unter Kontrolle. Nur zeichnungsberechtigt war er nicht mehr - alle Unterschriften mußten von Bunkenburg geleistet werden.
Da Manfred Weißleder nun aber nicht mehr direkt für den Club verantwortlich war - er kümmerte sich vorwiegend nur noch um die Neu-Engagements -, konnte er seine Aktivitäten auf andere Gebiete verlegen. Er trieb die Star-Club News voran und versuchte, aus der einstigen Programmvorschau seines Hauses ein ernsthaftes Musikblatt zu machen, mit dem man gleichzeitig die eigenen Gruppen gut pro-moten konnte. Er organisierte einen Wochenendflug für hundert Jugendliche nach London und Liverpool, inklusive Besuch eines Beatles-Konzerts für den Spottpreis von 190 Mark. Er etablierte das neue Label Star-Club-Records auf dem Plattenmarkt und ließ Star-Club-LPs in den USA, Japan und Australien veröffentlichen. Und er plante, in der Eibmündung außerhalb der Dreimeilenzone einen Piratensender zu installieren, um damit Radio Luxemburg Konkurrenz zu machen. Das klappte letztlich nicht, weil sich Deutschland dem Straßburger Abkommen gegen Senderpiraterie anschloß. Doch Weißleders andere Projekte blühten und gediehen.
Er belieferte den Bremer TV-«Beat-Club», der ursprünglich sogar direkt aus dem Star-Club senden sollte, regelmäßig mit Bands. Ein Rundfunksender in Chicago brachte dreimal wöchentlich halbstündige Live-Sendungen aus dem Star-Club. Fernsehen und Presse aus ganz Europa reisten an, um aus der Großen Freiheit zu berichten. Die Rattles wurden unter seinem Management zur führenden kontinentaleuropäischen Band, tourten 1966 mit den Beatles durch Deutschland und drehten einen eigenen Spielfilm.
Im März '66 konnte der blonde Zwei-Meter-Mann seinen größten Sieg verbuchen. Seit seinem Konzessionsentzug hatte er gegen die Entscheidung geklagt - jetzt bekam er recht und die Konzession zurück. Begründung: Er habe seine Aufsichtspflicht damals nicht verletzt. Daraufhin verklagte Weißleder im Gegenzug gleich Amtmann Falck wegen «wissentlich falscher Aussagen»: Falck hatte behauptet, seit dem Konzessionsentzug habe es keine Schlägereien mehr gegeben. Weißleder dagegen konterte, es habe sich nichts geändert. Damit kam er allerdings nicht durch. Die Staatsanwaltschaft stellte die Ermittlungen gegen Falck bald ein. Man kennt das ja von den Krähen.
Die Prozessiererei aber hatte Manfred Weißleder viel Zeit und Energie gekostet. Ein anderer Rückschlag kam dazu: Im Dezember 1965 war er gezwungen, die Star-Club News, die sich mittlerweile zu einer echten Alternative zu Bravo und Musikparade entwickelt hatte, einzustellen. Rechtliche Verpflichtungen gegenüber dem Hamburger Heinrich Bauer Verlag, mit dem er im Juli eine Verlagsgemeinschaft eingegangen war, ließen ihm keine andere Wahl. Gemeinsam mit dem Großverlag wollte er aus seiner News ein großes Jugend- und Musikblatt machen, nun wollte Bauer plötzlich unabhängig eine eigene Zeitschrift (OK) starten, die im Gegensatz zur kritischen News eine der üblichen Pop-Schmonzetten werden sollte. Anfänglich sollte die News nur für kurze Zeit eingestellt werden. Doch sie erschien niemals wieder.
Damit fehlte Weißleder das Sprachrohr, das er dringend benötigte. Unter anderem für ein neues Projekt, die «Star-Club International Union». Das sollte eine Organisation werden, deren Mitglieder überall in Europa in Clubs, Konzerten, Plattenläden, Boutiquen und anderen Geschäften gegen Vorlage des Clubausweises Prozente bekommen. In England hatte der Discjockey Jimmy Saville schon etwas Ähnliches gestartet. Weißleder wollte das deutsche Gegenstück dazu aufbauen. Jetzt ging es nicht mehr.
Im Herbst 1966 kam ein weiterer Schlag: Rattles-Gitarrist Achim Reichel mußte zur Bundeswehr. Selbst Manfred Weißleder schaffte es nicht, den Star seiner populärsten Band vor der Kaserne zu retten. Damit war die Rattles-Karriere auf ihrem Höhepunkt geplatzt - wenige Monate später sollte ihre erste USA-Tournee stattfinden. Doch ohne den quirligen Mittelpunkt Achim verloren die Fans bald das große Interesse an der Band. Ruhm ist nur kurz, und 18 Monate Heimatverteidigung zu lang. Langsam begann Manfred Weißleder, sich zurückzuziehen. Er kümmerte sich nach wie vor um das Star-Club-Programm, holte Cream, Hendrix und Animals, doch spektakuläre Aktionen wie früher blieben nun aus. Im September '67 hörte er ganz auf. Über seine Gründe sagte er nur: «Der Star-Club war nur eines der Lokale, die ich auf St. Pauli habe. Und ich wollte endlich mal aus diesem Nachtgeschäft raus und habe mich deshalb 1967 zurückgezogen. Zurückziehen ist gleichbedeutend mit verpachten, denn wenn man nicht selbst in einem Betrieb ist, den man selbst bewirtschaftet, geht er automatisch runter. Ich habe also das Nächstliegende getan und verpachtet an meinen Geschäftsführer,
der das eigentlich kennen mußte. Und leider ist das dann doch später immer schlechter geworden, so daß ich '69 das Geschäft zugemacht habe.» Vielleicht wollte er nicht mehr weiterkämpfen, vielleicht sah er auch als erster das Ende der großen Beat-Zeit nahen - Manfred Weißleder ging jedenfalls und zog sich total zurück. Die monatliche Pacht seiner diversen Lokale sicherte ihm regelmäßige Einnahmen. Alles andere interessierte ihn nicht mehr. 1970, als der alte Star-Club geschlossen war, liebäugelte er noch einmal mit den alten Zeiten: «Ich habe da mit dem Gedanken gespielt, so was wieder aufzumachen. Aber es gibt einfach keine Räumlichkeit, die die Besucherzahl faßt, die man benötigt, um Stars bezahlen zu können. Man muß 2500 Leute da reinbringen, immer, sonst werden die Preise zu hoch.» Schließlich gestattete er Jahre später einem anderen, es noch einmal zu versuchen: «Es gibt einen einzigen Mann, dem ich die Rechte übertragen habe, allerdings in begrenztem Umfang und auch nur an einer bestimmten Stelle einen neuen Star-Club zu betreiben, und das ist Horst Fascher. Das ist ein früherer Freund von mir, und er war auch früher Geschäftsführer bei mir. Dem habe ich das Recht zugestanden. Sonst gibt's keinen, der das dürfte, denn ich habe ja nach wie vor die Rechte an der Etablissements-Bezeichnung.» Das ist die Geschichte von Manfred Weißleder und dem Aufstieg und Niedergang des Star-Club-Imperiums. Um sie vollständig erzählen zu können, mußten wir in der Zeit ein wenig vorgreifen. Wie es aber nach seinem Lizenzentzug 1964 im Star-Club selbst weiterging, steht im nächsten Kapitel.
Archiv Rock und Revolte
Der Star-Club Hamburg
13.4.1962 - 31.12.1969
Hits und Joints und lange Soli
Rock wird selbstverständlich
Der neue Star-Club-Konzessionär hieß jetzt zwar Hans Bunkenburg. Manfred Weißleder aber blieb nach wie vor der Boss, die bestimmende graue Eminenz im Hintergrund. An der Qualität des Programms und der Atmosphäre des Clubs änderte sich deshalb vorerst wenig. Es veränderten sich nur Äußerlichkeiten.
Im Herbst '64 wurde der Club umdekoriert. Die Skyline-Bühnenkulisse verschwand und wurde gegen einen blauen Vorhang mit dem Star-Club-Schriftzug vertauscht. Auf der Bühne dagegen blieb noch alles beim alten. Gene Vincent, Little Richard und Johnny Kidd & the Pirates gaben Star-Gastspiele, Gruppen wie die Roadrunners, lan & the Zodiacs, Lee Curtis, Liverbirds, Rattles, King Size Taylor, Remo Four und natürlich Tony Sheridan bildeten die Alltagsattraktionen im normalen Dauerprogramm etlicher Liverpool-Bands. Ein bereits gebuchtes Gastspiel von Herman's Hermits, die in England soeben mit l'm Into Something Good ihren ersten Hit hatten, mußte wieder abgesagt werden. Vier der Hermits waren noch unter achtzehn und bekamen aus Jugendschutzgründen keine deutsche Arbeitserlaubnis. Pfingsten 1965 kam durch Vermittlung von Brian Epstein erstmals eine Gruppe, die in dem Ruf stand, all das wirklich zu tun, was man den Rolling Stones andichtete: die Pretty Things. Sie machten ihrem Image dann auch jede Ehre und lieferten sich auf der Bühne eine muntere Keilerei, als deren Höhepunkt Sänger Phil May eine meterhohe Blumenvase auf dem Rücken seines Schlagzeugers Viv Prince zertöpperte. Wenig später reiste aus London Georgie Farne an, sein erster Hit Yeh Yeh war gerade vier Monate alt. 158 Und dann gastierten regelmäßig auch Casey Jones & the Governors, die ihre Hits und Show von Screaming Lord Sutch klauten, gegen den wilden Sutch aber eher wie zahme Verkehrskasper wirkten.
Doch langsam begann die Musik sich zu ändern. Aus Liverpool kam lange schon nur noch Standard, kein Wahnsinn mehr. Neue Gruppen tauchten in England auf, die nicht mehr so klangen wie die alte Garde. Neue Stars wurden geboren. Im Sommer 1965 war das auch im Star-Club nicht mehr zu überhören. Da nämlich begann eine Band ihr Vierwochen-Engagement, die alle sofort umhaute und in Windeseile zur totalen Hamburger Kultgruppe wurde: die VIPs. Kuno Dreysse erinnert sich:
«An dem Abend hatte irgendeine englische Star-Gruppe gespielt und baute eben ihre Anlage ab. Die VIPs waren gerade aus England gekommen, kamen direkt aus dem Bus auf die Bühne und mußten jetzt erst mal aufbauen. Dadurch entstand 'ne riesige Pause, und das Volk war unheimlich unruhig. Und dann fingen die VIPs endlich an, und alle waren gleich ganz weg. Die hatten diesen schwerfälligen Rock drauf, unheimlich eigenständig, ganz das Gegenteil zu den üblichen Beat-Bands, und reichlich schwarz. Mike Harrison war der Sänger, und er klang noch geiler und erdiger als Ray Charles. Und Greg Ridley spielte dazu einen Mörderbaß. Alle sahen sehr verschärft aus, so mit starken Frisuren und Koteletten und mit Samtjacken, und ihre Gitarren hingen ihnen zwischen Hüfte und Knie, das war total neu und ungewöhnlich. Da hab ich Gänsehäute gekriegt - wenn ich das jetzt erzähle, kriege ich schon wieder 'ne Gänsehaut! -, sie brachten alles auf eine ganz ruhige, coole Art, und ziemlich heavy.
So was hatten wir alle vorher noch nie gehört. Die VIPs haben damals sofort fast alle Musiker im Star-Club und in Hamburg ganz schwer beeinflußt!» Mit den VIPs, aus denen sich zwei Jahre später Spooky Tooth entwickelten, begann im Star-Club eine neue Ära. Die alte Rock 'n' Roll-Zeit war vorbei. Die Musik hatte sich verändert und das Bewußtsein auch. Der Rock - oder Beat, wie auch immer man ihn nennen mag - hatte sich gegen alle Widerstände durchgesetzt, war von der unterdrückten Minderheitenmusik zum breiten Massensound, einer echten Volksmusik der Jugendkultur geworden. Millionen von Jugendlichen ertrotzten sich das Recht, lange Haare zu tragen. Eine neue Generation von Fans war herangewachsen, für die nicht mehr Elvis und Little Richard, sondern Beatles und Stones die Heroen waren. Und das wirkte sich natürlich aus.
Mit den VIPs begann im Star-Club auch ein neues Drogen-Zeitalter: «Wenn man im Pacific bei den VIPs ins Zimmer kam, stand da auf der Fensterbank immer ein großes Bonbonglas, wie früher beim Kaufmann. Und das war voll mit Mandrax, Prelus, Romela, Purple Heart, AN l und Cappis. Da griffen die Jungs nach dem Aufstehen immer rein und holten sich 'ne Handvoll raus, damit sie gut über den Tag kamen. Aber die VIPs haben auch immer reichlich getörnt und Trips geschmissen. Das war damals für uns noch alles sehr neu, Haschisch und so.»
Im Oktober '65 gastierte der damals neben Dylan größte Solo-Held der neuen Love + Peace-Genera-tion an der Großen Freiheit: Donovan, der mit Catch The Wind und Universal Saldier, akustischer Gitarre und Mundharmonika eigentlich wie ein Fremdkörper zwischen all den anderen Bands wirkte. Ganz so weltfremd und bescheiden wie sein Image war der Sänger aus Glasgow freilich nicht: «Immer wieder lesen wir irgendwo, daß Donovan ein anspruchsloser Boy mit Gammler-Ambitionen sei. Geld und materielle Werte bedeuten ihm nichts. Heißt es. An dem Tatsachengehalt dieser Sprüche kommen einem schnell Zweifel, wenn man seine Gagenforderungen kennt. Dazu die Hotel-Wünsche, die stets auf eine Zimmerflucht (!) im besten Haus am Platze gerichtet sind», kommentierte Manfred Weißleder die Auftritte wenig später in seiner Star-Club News.
1966 dann begann eine regelrechte Invasion der neuen Stars, die zweite große Blütezeit des Star-Club. Wie zuvor schon die Rock 'n' Roll-Könige gaben sich nun die Helden der zweiten Beat-Generation die Türklinke in die Hand. Eines allerdings hatte sich verändert: Während die Rocker noch wochenlange Star-Gastspiele gaben, kamen die neuen
Bands nur noch für wenige Tage oder gar Einzelauftritte. Ihre Gagen waren inzwischen derart geklettert, daß es sich niemand leisten konnte, sie über einen längeren Zeitraum hinweg in einem Club zu beschäftigen.
Im Februar '66 kam erstmals die Spencer Davis Group, musikalisch verwandt mit den VIPs und allein schon deshalb für die Fans an der Großen Freiheit ein ganz besonderer Leckerbissen. Keep On Running stand gerade in allen Hitparaden - kein Wunder, daß der Star-Club bei ihnen wieder einmal bis zum Bersten gefüllt war. Im Mai kehrten sie für zwei weitere Tage zurück, im Herbst '66 starteten sie gemeinsam mit Dave Dee & Co. ihre erste große Deutschlandtour. Anschließend war ihre Gage so hoch, daß sie für den Star-Club nicht mehr erschwinglich waren. Nur Drummer Pete York sollte 1969 noch mehrmals an die Stätte seiner ersten Erfolge zurückkehren.
Im April folgten die Pretty Things mit ihrem zweiten Engagement. Und im gleichen Monat gastierte eine Band, deren Hits schon seit einiger Zeit auf Star-Club-Records erschienen und die neben den Beatles und Stones das Populärste und Kostspieligste war, das man in jenen Tagen auftreiben konnte: die Walker Brothers.
«Bei den Walkers kostete es 10 Mark Eintritt, das war wahnsinnig viel, nur das Ray Charles-Gastspiel war noch teurer gewesen. Und im Star-Club waren unheimlich viele Mädchen, ganz im Gegensatz zu sonst, und sie kreischten und schrien, als die Walkers auf die Bühne kamen, und wurden ganz verrückt. Die drei Typen auf der Bühne waren groß, lässig und ganz cool, und sie hatten alles voll im Griff. Sie hatten nur eine Band dabei, kein großes Orchester, also der totale Spector-Sound wie im Studio war damit nicht zu machen, aber trotzdem brachten sie es sehr stark. Sie konnten wirklich gut singen, und es kam dabei reichlich was rüber.» Als nächstes kamen die Small Faces, ganz wild und verschwitzt mit einem kreischenden, spuckenden Steve Marriott. Ein paar Tage später stand Manfred Mann auf 'der Bühne, mit Mike D'Abo als Sänger und dem Hamburger Klaus Voormann am Baß, der Jahre zuvor mit den Beatles im Kaiserkeller die Nächte verbracht hatte.
Der Auftritt von Dave Dee, Dozy, Beaky, Mick & Tich am 26. September endete in einem Gemetzel. Mit Hold Tight und Hideaway war die Band schnell zur populärsten Teenband weit und breit aufgestiegen, und dementsprechend zusammengesetzt war auch das Star-Club-Publikum. Mädchen über Mädchen, wie bei den Walker Brothers, und sie alle hatten nur ein Ziel: sich den schnuckeligen Jungen da oben auf der Bühne zu fangen. Das klappte schließlich auch, Dave Dee wurde von der Bühne in die Menge gezerrt und fachgerecht zerlegt. Als ihn seine Roadies endlich befreit und wieder hinters Mikrofon gestellt hatten, war die schöne Frisur ruiniert, das Hemd hing in Fetzen herab, und ein Stiefel fehlte. Aber alle hatten einen Riesenspaß dabei.
Noch mehr Hit- und Teen-Stars traten in den nächsten Wochen an: Graham Bonney, gerade mit Supergirl in den Top Ten, wand sich im knallengen lila Samtanzug wie ein P. J. Proby für Arme. Chris Andrews dagegen, der schon 1962 als Mitglied der Star-Combo im Club gastiert hatte, sah in seiner Pepitajacke zwar biederer aus, hatte aber musikalisch einiges mehr auf dem Kasten. Im November '66 spielten erstmals die Hep-Stars, damals Schwedens Teen-band Nr. l, bei denen der heutige Abba-Mann Benny Andersson das E-Pianor bediente. Dann sollten auch noch Sonny & Cher kommen, doch zehn Tage vorher sagte ihre Plattenfirma ab, weil Sonny am Auftrittstag an einer «Stimmbandkrankheit» leiden würde und deswegen nur im Fernsehen zu Playbacks mimen, nicht aber live auftreten könne. Der größte Hammer von allen Hitbands war aber Sam the Sham & the Pharaohs. Der wälzte sich brüllend so lange auf der Erde herum, bis seine Hose platzte. Seine Band stand daneben mit eisernen Mienen, alle mit dem großen starren Blick und den ganz kleinen Pupillen. Seinen Hit Wooly Bully brachte er in jeder Show mindestens zweimal, damit alle im Saal lauthals ihr <Volle Pulle> mitgrölen konnten.
Die ersten drei Monate des Jahres 1967 brachten dann den Höhepunkt dieser zweiten Star-Club-Hoch-Zeit. Nacheinander kamen die drei wichtigsten Bands jener Periode:
Eric Burdon & the New Animals im Januar. Ihr House Of The Rising Sun lag Lichtjahre zurück, jetzt begannen Winds Of Change zu blasen, ohne bisher jedoch die Wurzeln der Band zu überdecken. Auf der Schwelle zwischen See See Rider und San Franciscan Nights boten die Animals zwei beeindruckende Konzerte. An dem Abend saßen auch The Who im Publikum, stiegen aber leider nicht zu einer Session oder einem Überraschungsgig ein. Im Februar kamen Cream. Nachmittags standen sie noch in Bremen im «Beat-Club»-Studio vor den Kameras, dann brausten sie mit einem Ford Transit, in dem ihre gesamte Anlage Platz hatte (!), über die Autobahn nach Hamburg. Ein Roadie baute Schlagzeug und zwei (!) Marshall-Türme auf, und ab ging's mit / Feel Free. Mehr als 1200 Menschen keilten sich in der Wahl zwischen Erstickungs- und Zerquetschungstod im engen Club und wurden Zeugen einer neuen Band-Ära, die drei Jahre später den Star-Club sterben ließ. Cream selbst sind das beste Beispiel: Sie eroberten in kürzester Zeit die größten Hallen und Stadien der Welt. In Clubs traten sie nie mehr auf. Warum auch? Abgesehen von ihrer unbezahlbaren Gage war ihr Aufwand mit der Zeit derart gestiegen, daß es sich nur noch rentierte, mit möglichst großen Shows möglichst viele Menschen zu erreichen und sie zum LP-Kauf zu bewegen. Mit Cream wuchs die Musik in eine gigantische neue Dimension, in der Lokale wie der Star-Club bald keinen Platz mehr hatten. Am 17. März schließlich kletterte ein Trio auf die Bühne, das gerade zuvor in England die erste Single veröffentlicht hatte und am ersten Abend knapp 600 Leute in den Star-Club zog. Die Band nannte sich Jimi Hendrix Experience, und was sie brachte, war das Heißeste im Star-Club seit den Beatles:
«Ein paar von uns hatten vorher schon Hey Joe auf Radio Luxemburg gehört, aber die Nummer sagte ja nicht viel über das, was dann kam. Hendrix schloß die Gitarre an und ließ sie gleich ganz wahnsinnig losheulen und pfeifen, wir dachten erst, seine Anlage ist kaputt. Aber dann legten Schlagzeug und Baß los, und Hendrix würgte seine Gitarre, biß rein und spielte mit der Zunge und auf dem Rücken und unterm Knie, und er haute sie gegen den Marshall-Turm, das klang so, als explodiert gerade ein Elektrizitätswerk. Dazu verzog er ständig sein Gesicht, das war ein voller Film, der da ablief, also auf dem Gesicht konnte man richtig die Töne sehen, die er erzeugte. Dazu denn noch seine heisere Stimme, die wilden Haare und die kaputte Uniformjacke, die er am ersten Abend trug - das hat uns alle völlig fertiggemacht. Daß da noch andere Leute mit auf der Bühne standen, haben wir gar nicht mitgekriegt. Wir haben immer nur diesen Kerl gesehen, der da Sachen machte, die so total wahnsinnig waren, daß wir gar nicht begreifen konnten, daß es so was gibt. Zum Schluß hat er dann Wild Thing gespielt, über zehn Minuten lang, in einer Mörderversion. Als er fertig war, waren wir auch alle fertig. Keiner ist gegangen, alle blieben da, um ihn um Mitternacht noch mal zu sehen. Ich habe Hendrix später noch ein paarmal gesehen, aber so wild, also im wörtlichsten Sinne tierisch, und so extrem wie damals im Star-Club war er nie wieder.»
Die Nachricht von dem Irrsinnsgitarristen verbreitete sich über Nacht. Am nächsten Tag waren es schon mehr als 1000 Zuschauer, und in der dritten Nacht mußte der Star-Club wegen Überfüllung zeitweise geschlossen werden. Das Raumzeitalter hatte im Star-Club Einzug gehalten. Dort, wo jahrelang Hunderte von Bands immer wieder die gleiche Musik gemacht hatten, sprengte Hendrix alle Grenzen, die der Gitarre bisher gesetzt waren, öffnete den Kosmos zum freien Flug der LSD-Astronauten, wies den Weg in die Zukunft. Es gab in diesen drei Nächten niemanden, der nicht aufgeschreckt und zugleich fasziniert war von diesem Mann: «Hendrix weckte uns alle wie aus einem großen Traum. Als wir die Augen öffneten, war die alte Zeit vorbei, ein neues Kapitel Rockgeschichte aufgeschlagen, das alles Vorherige vergessen ließ.»
Nach Hendrix kam nicht mehr viel. Was sollte ihn auch übertreffen können? Die Bee Gees, die für August angekündigt waren und dann doch nicht erschienen, sicher nicht. Im Herbst '67 zog sich Manfred Weißleder vollständig zurück und verpachtete den Club an seinen bisherigen Geschäftsführer Hans Bunkenburg. Der führte ihn noch bis Mai '68 weiter. In seiner Zeit kamen die Equals mit ihrer Baby Come Back -Stampfkartoffelshow, Chris Far-lowe mit Albert Lee an der Gitarre und dem blutjungen Drummer Carl Palmer - der später mit Keith Emerson und Greg Lake Karriere machte -, Smoke (My Friend Jack), die Creation (Painter Man), Ben E. King, kurz darauf auch seine Ex-Gruppe Drifters, dann Teen- und Hit-Star David Garrick, der in Spitzenhemd, Dauerwelle und Samthöschen sehr niedlich aussah. Die Flower-Power-Periode zog ein mit John's Children, bei denen damals Marc Bolan Gitarre spielte. Die Band dekorierte die Bühne mit Bergen von Blumen und ihr Love + Peace-Auftritt endete damit, daß sich Sänger und Schlagzeuger derbe prügelten.
Nur einen richtigen Höhepunkt konnte Bunkenburg noch verzeichnen: die ersten Auftritte der neugegründeten Spooky Tooth, die dank ihres VIPs-Renommees sofort eine große Fan-Gemeinde und volle Häuser hatten und den Erwartungen musikalisch voll und ganz entsprachen. Wenn Mike Harrison und Gary Wright mit krummen Rücken über die Keyboards gebeugt heiser ihr Tobacco Road schrien, lief es jedem über den Rücken. Auch Spooky Tooth wurden zur Kultband, die bis zum Ende des Clubs 1969 noch mehrfach wiederkam.
Archiv Rock und Revolte
Der Star-Club Hamburg
13.4.1962 - 31.12.1969
Zwischenspiel mit schlechten Karten
Der Anfang vom Endes des Star-Clubs
Mit den neuen Stars veränderte sich langsam auch der Alltag im Star-Club. Nicht musikalisch und auch nicht unbedingt qualitativ. Aber das Publikum wandelte sich. Die Haare wurden immer länger, die Anzüge und Krawatten verschwanden, die Ansprüche stiegen. Rockmusik war nicht mehr länger eine schwer zugängliche Seltenheit, sondern breit angebotener Lebensinhalt geworden. Konzerte gab es jetzt überall, Beatles und Stones tourten durch die größten Hallen, jede Stadt hatte Musikclubs und Discotheken. Eine eigene Rock- und Jugendindustrie war entstanden, in den Plattenläden bekam man problemlos jeden gewünschten Hit. Nach Jahren der fast totalen Rock-Abstinenz im Fernsehen, das, wenn überhaupt, nur Musiker zuließ, die sich für die Sendung die Haare stutzten, startete der junge Regisseur Michael Leckebusch in Bremen eine monatliche Sendereihe, in der er Bands so zeigte, wie sie wirklich waren: den «Beat-Club». Der Star-Club hatte Konkurrenz bekommen, harte Konkurrenz, doch noch immer war sein Programm so gut, daß kein anderer mithalten konnte. Und er brachte Dinge, die bei sterilen Großkonzerten eben nicht möglich waren. So kam eines Abends Chris Barber in den Club. Er hatte gerade ein Konzert in der Musikhalle gegeben, wollte noch etwas weitermachen, stieg mit seiner Posaune zu den Remo Four auf die Bühne und jammte mit ihnen drauflos. Oder der Romanautor Hubert Fichte las zwischen Songs von lan & the Zodiacs Passagen aus seinem Buch «Die Palette». Oder zum normalen Programm der Rockbands lief eine Modenschau ab. So etwas gab es eben nur im Star-Club.
Die üblichen Hausbands - King Size Taylor, Rattles, Liverbirds, Lee Curtis, Remo Four - waren jetzt selber Stars. Vor allem Remo Four mit Tony Ashton an den Keyboards hatten sich zu einer echten Attraktion gemausert. Sie waren locker, ausgelassen und witzig auf der Bühne, für jeden Unsinn gut. Und weil sie nicht den üblichen Rock draufhatten, sondern sich eng an R & B und Jazz anlehnten, liebten die anderen Musiker sie besonders. Neue Gruppen wie die Londoners, die Hi-Fis, die King Pins oder die Boston Show Band - mit Paul Raven alias Gary Glitter als Sänger - etablierten sich zu Dauereinrichtungen. Wie schon in den Jahren zuvor versuchten junge Bands wie Maze (am Schlagzeug der siebzehnjährige spätere Deep Purple-Drummer lan Pake) ihre ersten Sporen zu verdienen oder Ex-Stars wie der einstige Searchers-Sänger Tony Jackson an vergangene Tage anzuknüpfen. Routiniers wie Jackie Lomax und Alex Harvey hielten den musikalischen Standard hoch. Es war eigentlich wie immer, die Monate verstrichen, die Musik blieb die gleiche und das Leben der Musiker zwischen Hotel Pacific und Beershop auch.
Nur deutsche Gruppen waren jetzt öfter als zuvor auf der Star-Club-Bühne zu sehen. Bei jedem Band-Wettbewerb kamen neue dazu, die jetzt auf die heiligen Bretter durften, und die meisten von ihnen fielen zwischen den Engländern nicht negativ auf. Rollicks, Rivets und Phantom Brothers traten immer wieder auf, nicht mehr nur wie früher zur Verstärkung der anderen Bands am Wochenende, sondern regelmäßig über längere Zeiträume hinweg. 1965 begann auch Bühnenmanager Pico mit seiner eigenen mitternächtlichen Solo-Show: «Da sollte ich 'ne Gruppe ansagen, und ich hab meinen alten Spruch losgelassen: <Wir kommen jetzt zum Höhepunkt des heutigen Abends. Sie sehen jetzt einen Gast, Sie kennen ihn alle: Euer Pico!> Und dann war erst mal tierischer Applaus. Da hab ich dann mein Ding abgezogen, so Donald Duck-Geschnatter mit 'nem Bleistift quer im Mund, und Autorennen, Jerry Lewis-Show, Playback zu der Single It's A Gas am Klavier rumgerülpst und so, mindestens eine halbe Stunde lang. Und der Laden stand, ich hab tierisch Beifall gekriegt, Zugaben und so. Also die Gruppe ist erst viel später aufgetreten, die fing auch an zu lachen und hat sich nach vorne gesetzt. Das war natürlich wieder ein Reißer für mich. Ich hab das von da ab öfter gemacht, so bis 1967, das Publikum hat es auch immer wieder verlangt. Meist war ich immer angeknackt, wenn ich das gebracht habe. Dann bin ich auch mit Screaming Lord Sutch zusammen aufgetreten. Ich als Olle mit Kerzen und so; er hat mich geschlachtet und mir das Herz rausgerissen auf der Bühne. Ich hab mir dann vorher so 'n Gummiherz und 'ne Leber und so unters Hemd gesteckt, und Sutch ist dann mit 'nem Gummidolch auf mich los, und ich hab dazu tierisch geschrien. Das war natürlich das, wo ich immer Bock drauf hatte. Mit Johnny Kidd bin ich auch aufgetreten. Der hat mir mit dem Säbel immer meinen Kopf abgehackt, also so getan als ob.»
Weil es nun aber nicht mehr nur den Star-Club gab, kannte man mit der Zeit das, was einem in der Großen Freiheit geboten wurde. Kuno Dreysse: «Irgendwann wurde beim Publikum die Energie weniger, der Enthusiasmus vom Anfang ging verloren. Dieser alte Kultgedanke war einfach nicht mehr da. Es war nur noch Alltag. Wenn wir irgendwo auf dem Lande gespielt hatten, wo man noch nicht so verwöhnt war wie in Hamburg, dann haben die Leute gegrölt und überall mitgeklatscht. Im Star-Club, und das war eigentlich das traurige, gab es netten Applaus, das war alles.»
Die Faszination der Live-Musik im Club begann zu schwinden. Und eine neue Gefahr tauchte auf: die Soulwelle. Mit Sam & Dave und Wilson Pickett erlebten die Discotheken ihren ersten großen Boom. Natürlich war und ist es billiger und bedeutend abwechslungsreicher, statt einiger Bands einen Stapel Singles mit Hitparaden- und Tanzmusik einzukaufen. Und inzwischen interessierte sich das breite Publikum mehr für Hits als dafür, daß zu ihnen auch unbedingt ein paar Musiker auf der Bühne standen. Die Konserve langte völlig. So starb in Deutschland ein Rockclub nach dem anderen, viele Bands verloren ihre Basis und lösten sich daraufhin ebenfalls auf.
Seit Cream und Hendrix gerieten Rock und Beat immer mehr in den Hintergrund. «Progressiv» war das neue Zauberwort, die Songs und Solos wurden immer länger. England verlor seine Vormachtstellung in Sachen Musik, immer mehr amerikanische Gruppen erreichten Einfluß und Popularität. Eine Generation wechselte ihren Soundtrack. Kaum bekannte Namen hatten keine Chance mehr. Zugkräftige Bands wurden immer teurer und unmöglich mehr für längere Zeiträume zu engagieren. Was noch zu haben war, reichte nicht, um die alte Qualität des Star-Club zu halten.
1967 begann in Hamburg die Haschisch-Zeit. Zuvor schon von vielen Musikern und Eingeweihten geschätzt, eroberten Joint, Shillum und Pfeife jetzt im großen Stil weite Kreise. Am oberen Ende der Großen Freiheit baute ein geschäftstüchtiger Wirt den Hit-Club, der stets nur fünftklassiger Abklatsch des Star-Club war, in einen riesigen psychedelischen Tempel um, das Grünspan. Über die Wände zuckten Dias und Kurzfilme, Projektoren warfen verschmelzende Farben in den Raum, Stroboskope
blitzten, und dazu lief aus einer Riesenanlage alles zwischen Pink Floyd und den Doors. Weil sowieso alles im flirrenden Halbdunkel lag, konnte man hier in Ruhe einen rauchen, und wer nichts hatte, bekam am Eingang, was er wünschte. Es war der totale Kontrast zum Star-Club, aber es war neu und faszinierend. Das Grünspan war von Anfang an ein Renner, gegen den der Star-Club auf die Dauer nicht ankam. Im Star-Club waren Joints nicht so gern gesehen, und angetörnte Gäste brachten ein neues Problem mit sich. Hans Bunkenburg: «Die waren alle von ihrem Stoff so angedröhnt, daß sie nur noch alkoholfrei, also Cola und Säfte tranken. Und an einer Flasche hielten sie sich dann stundenlang fest. Das beeinflußte natürlich ziemlich den Getränkeumsatz.» Schließlich durften die Kellner nicht mehr so wie früher den Rubel am Rollen halten. So kam es, daß der Star-Club ab Sommer '67 an Wochentagen immer leerer wurde. Das Stammpublikum von früher war erwachsen geworden und hatte wohl auch den Kontakt zur jetzigen Musik verloren. Nur wenige kamen noch regelmäßig, und meist pendelten die Gäste dann zwischen Star-Club und Grünspan hin und her. Nur wenn eine besondere Gruppe wie Spooky Tooth auftrat, war es wieder richtig voll. Doch langsam, aber sicher glitt der Club in die roten Zahlen.
Im Januar '68 versuchte Hans Bunkenburg zu retten, was zu retten war. Er baute den Star-Club um und installierte eine Discothek. Doch die Mühe lohnte nicht - der Publikumsschwund hielt an. Mit mehr als 150000 Mark Schulden warf er wenig später das Handtuch und führte nur noch den Club 39 auf dem ehemaligen Star-Club-Balkon, den er im Herbst '67 zu einem separaten Lokal eingerichtet hatte. Die große Zeit des Star-Club war vorbei.
Im Mai 1968 übernahm Ulrich Dieckmann den Star-Club von Manfred Weißleder als neuer Pächter. Dieckmann kam aus Steinheim bei Bielefeld und hatte mit einem Elektrogroßhandel viel Geld verdient. Er stand auf Popmusik und versuchte sich als Manager der German Bonds und Rivets. Kuno Dreysse: «Dieckmann wollte immer unheimlich gern mit Bands was machen. Er war an sich ein herzensguter Mensch, den man ausnehmen konnte wie 'ne Weihnachtsgans, wenn man wollte. Wir haben auch 'ne Anlage gestellt gekriegt von ihm. Der hat sich damals total übernommen mit dem Management, er wollte der deutsche Epstein werden, so ungefähr. Na ja, und so hat er dann eben auch den Star-Club übernommen, als der angeboten wurde. Und die Gelder flössen raus, raus, raus, und es kam nie was rein.»
Weil Dieckmann ständig unterwegs war und auch nicht die nötige Erfahrung besaß, engagierte er für den Club einen Geschäftsführer, der die Szene bestens kannte: Herbert Hildebrandt, der bis vor kurzem Bassist der Rattles war und jetzt seine Ex-Band managte und produzierte.
Sie versuchten die Rettung des Star-Club mit einem neuen Konzept. Der Club wurde wiederum umgebaut, diesmal zu einer Discothek, in der auch Bands auftreten konnten. Die Bühne wurde etwas verkleinert, zwei Go-go-Girls aus Frankfurt angeheuert, ein Filmprojektor eingebaut. Aus dem Ruhrgebiet kam ein Discjockey, der sich «der Löwe» nannte. Weil die Band-Gagen so hoch waren, sollte wochentags nur noch eine Gruppe am Abend spielen. Dazu sollte es alle vier Wochen ein Star-Gastspiel geben. Nach viertägigen Umbauarbeiten wurde der renovierte Club am 17. Mai neu eröffnet. Zur Premiere spielten The Smoke aus London. Es half nicht. Der Zuschauerschwund ging weiter, stärker noch als zuvor. Früher war der Star-Club eine Garantie für gute Bands, gute Musik, gute Atmosphäre. Jetzt dudelte höchstens eine drittrangige Gruppe ab und zu mal lustlos vor sich hin. Vor der Bühne vollzogen dazu zwei oder drei schlaffe Paare den Totentanz. In den langen Pausen dröhnten Plattenhits in den leeren Saal. Wer den Star-Club von früher kannte und sich zufällig wieder hineinverirrte, ergriff schnell deprimiert die Flucht. Pico: «Man war enttäuscht, tierisch enttäuscht, daß der Star-Club so tief gesunken war.»
Weil gute Bands immer teurer wurden, wurden automatisch die billigen Bands immer schlechter. Immer mehr deutsche Amateurgruppen traten als einzige Band des Abends auf. Die Auslese und Qualität von einst war dahin. Nur bei Gruppen der alten deutschen Garde, den Phantom Brothers, German Bonds oder Rivets, klang noch ein bißchen von dem durch, was die Musik im Star-Club früher so faszinierend machte. Aber auch diese Bands verloren langsam an Lust und Energie. Die meisten englischen Bands, die in dieser Periode den Alltag des Star-Club bestimmten, sind heute zu Recht vergessen. Nur eine von ihnen schaffte später einen gewissen Aufstieg: Chicken Shack. Sie traten mehr als vier Monate auf, erregten aber kaum großes Interesse. Gitarrist Stan Webb langweilte meist mit ewiglangen Solos, und von Christine Perfect, die Piano spielte, damals schon in England zur Sängerin Nr. l gewählt war und heute mit Fleetwood Mac Millionen scheffelt, hörte man so gut wie nichts. Sie ging völlig in Webbs Gitarrengedröhn unter. Nur bei einigen Star-Gastspielen kam noch einmal Leben in den Saal. Spooky Tooth, die kurz nach der Neueröffnung spielten, hatten genau den Sound drauf, der das Drogenpublikum aus dem Grünspan hinüber in den Star-Club lockte. Ebenso die Move, die im Januar '69 gastierten.
Doch der Untergang des Star-Club war nicht mehr zu stoppen. Ein Stammpublikum, das täglich kam, gab es nicht mehr. Die Jugend von 1968 war auf der Straße, demonstrierte und kämpfte gegen Restauration, den Springer-Konzern und die Polizei. Für nostalgische Vergnügungen im Star-Club war da kein Platz mehr. Und ein gutes zeitgemäßes Programm brachten Dieckmann und Hildebrandt nicht zustande. Während in Londoner Clubs Gruppen wie Pink Floyd, Family, Jethro Tüll und Ten Years After volle Häuser brachten, herrschte an der Großen Freiheit hauptsächlich Ausschuß und beschämend gähnende Leere. Junge und vielversprechende Bands wie Status Quo oder Julie Driscoll machten zwar in Hamburg oder beim «Beat-Club» Bremen TV-Aufnahmen und hatten am Abend meist Zeit, doch der Star-Club nutzte die Chance nicht, so günstig an attraktive Programmbereicherungen zu kommen. Der einstige Rock-Palast war zur Ruine mit nicht einmal mehr regionaler Bedeutung geworden, die sich nur noch notdürftig mit dem alten großen Namen tarnte und über der schon die Pleitegeier kreisten.
Geschäftlich war nichts mehr drin. Kuno: «Da hat dann jeder nur noch in die eigene Tasche gewirtschaftet, jeder gegen jeden.» Bis Ulrich Dieckmann schließlich genug hatte und im Januar '69 den Pachtvertrag des Star-Club kündigte.
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Der Star-Club Hamburg
13.4.1962 - 31.12.1969
«Wir waren die totalen Idealisten»
Das letzte Aufgebot der Herren Dostal und Reichel
Es waren hauptsächlich nostalgische Gefühle, die Achim Reichel und Frank Dostal dazu bewegen, im Februar '69 den siechen Star-Club als neue Pächter zu übernehmen, Frank Dostal: «Der Niedergang des Clubs war für uns enttäuschend. Achim und ich hatten hier als Musiker begonnen. Für uns war der Star-Club ein Teil unseres Lebens, und wir konnten einfach nicht begreifen, daß das, was dort zuvor jahrelang lief, plötzlich nicht mehr möglich sein sollte.
Natürlich hatten sich inzwischen die Zeiten geändert. Ein Laden mit dem Anspruch des Star-Club hielt sich einfach nicht mehr, weil nicht mehr genügend Zuschauer kamen und kein Stammpublikum mehr existierte. Die musikalischen Geschmäcker hatten sich längst derartig aufgeteilt, daß nur noch bei wirklich angesagten Bands der Club so voll war, wie es sich gehörte, um ihn finanziell zu tragen. Bloß Achim und ich mit unseren zuen Schädeln hatten das noch nicht mitgekriegt. Für uns galten ganz andere Gesichtspunkte: Der Laden war schmutzig, und das Programm war Scheiße. Also sagten wir: Der Star-Club steht wieder auf in dem Moment, in dem wir ihn sauberer machen und bessere Musik holen. Das war so unser Eindruck. Wir haben also den Mietvertrag von Dieckmann übernommen. Die Pacht betrug im Monat 6400 Mark, das war damals der absolute Wahnwitzpreis, übern Daumen hatten wir dann im Monat so 10000 Mark feste Kosten. Aber Geld war am Anfang ja da, weil Achim und ich 1968 mit Wonderland Hits hatten und daran ganz gut verdienten. Die Belegschaft übernahmen wir komplett, die Discothek haben wir aus der Mitte des Saals raus- und rechts an die Bühne rangebaut und ansonsten alles so gelassen, wie es war. Und wir haben gedacht: Jetzt muß es ja unheimlich bergauf gehen!» Dritter im Bunde mit Reichel und Dostal war Kuno Dreysse, der als Geschäftsführer fungierte. Für Kuno - die Rivets hatten sich kurz zuvor aufgelöst - bedeutete der neue Job alles: «Also ich und der Star-Club, diese Jugend-Oase, dieser Tempel, Götzentempel der Musik - und plötzlich war ich derjenige, der ihn machte. Das war gewaltig, das hat mich unheimlich fasziniert. Ich rannte am Anfang immer nur mit der Prickelhaut auf dem Rückgrat rum.» Heute sieht er es etwas anders: «Wir waren ja alle grüne Jungs, wir hatten keine Erfahrungen in dieser Richtung, und genaugenommen war ich als Geschäftsführer völlig deplaciert. Aber wir haben uns unheimlich angestrengt, um wieder das alte Niveau hinzukriegen, um Gruppen zu holen, die wie früher wegweisend waren. Wir waren die totalen Idealisten, und ich muß sagen, daß es wohl das letzte Mal in meinem Leben war, daß ich so viel Idealismus hatte und auch so viel Energie aufbrachte.» Energie und Idealismus waren auch dringend nötig. Kuno: «Der Star-Club war eine Bruchbude, die es so nicht ein zweites Mal gibt. Die Heizung funktionierte nicht, der Laden wurde und wurde nicht warm, und das auch noch mitten im Winter. Die Lieferanten waren total mißtrauisch, Cola und Bier mußten immer gleich cash bezahlt werden, weil der ganze Kredit des Star-Club in der Zeit vorher durch Unkorrektheiten verspielt war. Ich habe wirklich Tag und Nacht gearbeitet und in der Zeit reichlich Captagon geschmissen. Ich machte den Einkauf, und weil wir eine Zeitlang nicht mal 'ne Putzfrau hatten, hab ich morgens mit wunden Füßen auch noch immer den Star-Club gefegt. Die Nutten kamen dann immer aus dem Paradieshof nebenan und guckten mir durch die offene Tür zu, wie ich da am Fegen war, und wenn dann ein Typ von der Brauerei mit den Bierkisten kam und nach dem Geschäftsführer fragte, hab ich den Besen weggestellt, meine Stiefel angezogen und gesagt: <Der Geschäftsführer bin ich.> Das war schon ziemlich peinlich.» Frank Dostal und Achim Reichel waren für das Programm zuständig und buchten in England alles, was vielversprechend und gleichzeitig noch bezahlbar war. Und sie schafften es tatsächlich, noch einmal echte Band-Bonbons an die Elbe zu holen. Trotz aller äußerlichen Schwierigkeiten erlebte der Star-Club unter ihrer Führung seine dritte große Zeit. Frank Dostal probierte es gleich im ganz großen Stil: «Ich habe sofort versucht, John Lennon anzusprechen, ob er noch mal im Star-Club ein Gastspiel geben würde. Daraufhin schickte er uns ein Telegramm, daß er uns viel Glück wünscht, aber selbst aktiv werden wollte er nicht.» Trotzdem ließ sich der Start gut an: Im Februar gastierten erstmals The Nice, die gerade mit America in England ihren ersten großen Single-Erfolg verbuchten. Keith Emerson bearbeitete seine Orgel mit Händen, Ellbogen, Kopf und Füßen, rammte Messer zwischen die Tasten und trieb mit ihr ähnliches wie zwei Jahre zuvor Jimi Hendrix mit seiner Gitarre. Der Erfolg von Nice war gewaltig: bis zum Ende des Jahres kehrten sie noch zweimal in den Star-Club zurück. Es folgten Spooky Tooth, die wie immer ein volles Haus garantierten und die bis Dezember ebenfalls noch zweimal wiedergebucht wurden.
Andere Star-Gastspiele brachten nicht den gewünschten Erfolg. Kuno: «Einmal sind wir total auf die Schnauze gefallen, als wir die Tremeloes engagierten. Wir dachten, die haben ja Welthits gehabt, also ist das 'ne Granate, aber dann kam kaum jemand. Es war eben 'ne reine Popband, für die sich das Progressiv-Publikum nun überhaupt nicht interessierte.»
Im März kamen Savage Rose, wenig später die Rainbows mit dem späteren Uriah Heep-Mann Dave Byron als Sänger. Im April gastierten die Casuals, im Mai der Move-Ableger Ace Kefford Stand. Pink Floyd sollten zu dieser Zeit ebenfalls auftreten, kamen dann aber doch nicht. Überhaupt gab es immer wieder Probleme mit Gruppen, die zwar gebucht waren, dann aber nicht erschienen. Kuno: «Wir hatten die Pretty Things angekündigt und an dem Abend ein brechend volles Haus. Und dann kamen die nicht, und ich mußte raus auf die Bühne und das ansagen und den Leuten an der Kasse ihr Geld zurückzahlen, o Mann! Verträge mit England kannst du vergessen, das war immer ein banges Hoffen und Warten, ob nun die Band auch tatsächlich kommt oder nicht. Das gleiche haben wir auch mit Free erlebt, wir hatten die unterschriebenen Verträge liegen für ein 2-Tage-Gastspiel, und die haben die Verträge einfach ignoriert. Und nun klage mal nach England rüber- keine Chance! Diese Nerven, ob die Bands auch tatsächlich kommen, kann echt keiner nachvollziehen. Diese ewige Angst - du hast zwar den Vertrag, aber kommt die Gruppe jetzt auch oder müssen wir die Abendkasse, die wir wirklich nötig brauchten, wieder zurückzahlen . . . Zum Glück war das Publikum immer sehr verständnisvoll und hat nie gemurrt.»
Die Zeiten, in denen Bands ihr letztes Hemd dafür gaben, um im Star-Club auftreten zu dürfen, waren unwiederbringlich dahin. Kuno: «Die spielten nicht mehr nur aus Image-Gründen. Ich würde schon sagen, daß einige Gruppen auch deshalb kamen, weil irgendwelche Bandmitglieder früher mal im Star-Club auftraten. Aber es war gleichzeitig auch eine Sache der D-Mark, wenn die nicht stimmte, lief gar nichts.»
Ende Mai gab es dann wieder ein Konzert der alten Güte: die Easybeats rockten zwei Shows lang alles in Grund und Boden. Vor der Bühne standen die Mädchen mit Tränen in den Augen und kreischten den Australiern zu, und alles war noch einmal so wie früher. Am 6. Juni gastierten Love Affair vor versammeltem Teen-Publikum, und am 11. Juni kam Häuptling Keef Hartley mit Fransenjacke und Indianerkopfputz für zwei Konzerte an die Große Freiheit.
Fünf Tage später trat ein weiterer Hammer auf: The Taste. «Spätestens nach ihrem Auftritt hat die Trauer um die zerbrochenen Cream ein Ende!» stand auf den Handzetteln, die zuvor überall in Hamburg verteilt wurden. Und es stimmte: Dieses erste Taste-Konzert in Deutschland machte Rory Gallagher zumindest in Hamburg über Nacht zum Superstar. Die Begeisterung war so stark, daß der Star-Club die Band vier Wochen später wieder auf die Bühne brachte und Taste im Herbst schon im Alleingang die größten Hamburger Konzertsäle füllten. Am 26. Juni schließlich, sechs Wochen vor Woodstock, kam Richie Havens und verwandelte den Star-Club beinahe in eine Kathedrale: So andachtsvoll wie bei ihm lauschte lange kein Publikum mehr. Es folgten Re-Buchungen von Spooky Tooth, Nice und Taste, die US-Gruppen Ohio Express und Bandwagon. Dann, am 20. und 21. August, gab im Star-Club eine andere englische Spitzenband ihr Deutschland-Debüt: Yes.
Doch trotz dieses Weltklasse-Programms war der endgültige Tod des Star-Club nicht mehr zu stoppen. Kuno: «Wir hatten das Problem, daß bei guten, wirklich guten Gruppen der Laden alltags leer war. Am Wochenende haben wir dann so gerade eben die Band-Gage wieder rausgeholt. Das Publikum hat uns trotz all unserer Bemühungen einfach im Stich gelassen. Die Leute sind nur gekommen, wenn namhafte Bands da waren. Nur: die namhaften Bands haben natürlich auch namhaftes Geld gekriegt, und das konnten wir gerade eben mit Eintritt und Getränken - dabei ist der Einkauf noch gar nicht gerechnet - decken. Unser Defizit aus der Woche aber blieb bestehen und wurde immer mehr. Das Publikum kam nur bei Star-Gastspielen mal kurz aus dem Grünspan rüber, anschließend sausten sie schnell wieder zurück. Außerdem traten ja jetzt auch Bands in großen Konzerthallen auf, die sonst früher immer im Star-Club waren. Das hat uns natürlich ebenfalls geschadet. Neue Bands konnten wir im Gegensatz zu früher nicht mehr richtig aufbauen, weil einfach niemand da war, um sie zu sehen. Dazu kam, daß der Star-Club eben eine Bruchbude mit einem ziemlich schlechten Image war. Mal war was los, mal nicht, mal war Discothek - man konnte einfach nicht mehr so wie früher blind in den Star-Club gehen und ständig war dort Action. Wir haben uns zwar total abgerackert, um das wieder zu ändern, aber gegen den Imageverlust aus der Dieck-mann-Zeit kamen wir nicht so schnell an. Vielleicht, wenn wir mehr Zeit gehabt hätten, aber dazu langte unsere Kohle nicht mehr. Wir hatten zum Teil auch unheimliches Pech. Im November '69 hatten wir zum Beispiel Spooky Tooth für zwei Tage gebucht. Der erste Tag lief auch sehr gut, aber am zweiten Tag setzte plötzlich ein tierischer Schneesturm ein, und da kamen dann nur noch gerade zweihundert Leute.»
Das Ende nahte. Im September erschienen in der Presse die ersten Nachrufe auf den Club, der acht Jahre lang das musikalische Geschehen in Hamburg bestimmt hatte. Doch Dostal, Reichel und Dreysse gaben nicht kampflos auf. Sie bescherten dem Star-Club einen glanzvollen Abgang und buchten noch einmal Namen auf Namen.
Colosseum, Hast of Eden, Juniors Eyes, The Gun, Steamhammer und Man traten im Herbst im todgeweihten Club auf. Einige Wochen lang spielten als abendliches Alltagsprogramm The Earth, die sich dann in Black Sabbath umtauften und eine Weltkarriere starteten. Es kamen Griff in mit dem späteren Yes-Drummer Alan White und Hardin & York, die «kleinste Bigband der Welt», ein Ableger der Spencer Davis Group, die in Hamburg sofort zur clubfüllenden Attraktion aufstieg.
Es gastierten Vanilla Fudge, zu der Zeit neben Iron Butterfly die Drogen-Kultband Nr. l, und ließen die Zeitungen jubeln: «Noch einmal eine Nacht wie früher!» Es kam Brian Auger, der im brechend vollen Haus zwei Konzerte gab, an die in Hamburg noch heute ehrfurchtsvoll gedacht wird. Und der 31. Dezember, der letzte Tag des Star-Club, rückte immer näher. Finanziell standen Dostal, Reichel und Dreysse schon längst jenseits von Gut und Böse. Kuno: «Die letzten Monate konnten wir keine Miete mehr bezahlen, da haben wir seit Oktober praktisch unsere Kaution <abgefressen>. Die Frau an der Kasse war angewiesen, immer wenn sie 50 Mark zusammenhatte, sie schnell in ihrer Handtasche verschwinden zu lassen, damit eventuelle Abendkassen-Pfändungen keinen Erfolg hatten. In der Woche hatten wir dicht, damit wir wenigstens am Wochenende noch ein Programm finanzieren konnten.»
Auch die Bands bekamen die Finanzmisere zu spüren. Frank Dostal: «Ziemlich zum Schluß spielten bei uns die Groundhogs, und weil wir echt keinen stinkigen Pfennig mehr hatten, haben sie keine Gage mehr gekriegt. Vor ein paar Jahren war ihr Gitarrist Tony McPhee mal wieder in Hamburg, und das erste, was er wissen wollte, war: <Ist Frank Dostal noch in der Stadt? Von dem kriege ich nämlich noch Geld!> Ich hatte schließlich immer die Verträge mit den Gruppen unterschrieben.» Von Manfred Weißleder, der einst den Star-Club mit ungeheurem persönlichen Engagement aufgebaut hatte, war keine Hilfe zu erwarten. Kuno: «Wir hatten zum Glück nur einen Vorvertrag mit ihm, keinen richtigen Pachtvertrag, der uns fünf Jahre oder so gebunden hätte. Sonst wären wir total verloren gewesen. Weißleder hatte den Vertrag selbst formuliert, und dabei war ihm zum Glück für uns ein Formfehler unterlaufen. Er wollte zwar von uns noch reichlich Geld sehen, auch für die Zeit, in der er schon den nächsten Mieter für das Haus hatte, aber wir hatten dann einen harten Fight mit Rechtsanwälten und konnten das Ding anfechten. Deswegen sind wir auch noch recht gut da rausgekommen.»
Am Silvesterabend 1969 fand im Star-Club das letzte Konzert statt. Hardin & York traten auf und lieferten ein wehmutsvolles Abschiedsrequiem auf das Ende einer Epoche mit einem Songmedley der Band, die hier vor acht Jahren die Eröffnungsnacht bestritt: mit einer 25-Minuten-Version der Beatles-Klassiker Lady Madonna und Norwegian Wood. Bevor die letzte Band die Star-Club-Bühne betrat, hielt Kuno seine Abschiedsrede: «Ich habe mich da richtig in Zorn geredet. Ich sagte, dies sei der letzte Abend, also der wirklich allerletzte Abend im Star-Club. Und daß ihr, das Publikum, daran selber schuld habt. Ihr kommt mit dem Arsch nur hoch, wenn irgendwas Namhaftes hier ist, dann
bemüht ihr euch noch mal an die Große Freiheit, sonst nicht. Ihr werdet noch an den Star-Club denken, wenn ihr in der Musikhalle eure Hintern in die Sessel zwängt und euch nicht mehr bewegen könnt, kein Bier mehr dazu trinken könnt und die Bands in so einer kühlen Konzert-Atmosphäre hören müßt. Bei uns mosert ihr über den Heiermann Eintritt, und in die Musikhalle rennt ihr für 20 oder 30 Mark die Karte und habt da nur stur das Routine-Programm, das im Star-Club ganz lebendig die ganze Nacht lief. Ihr werdet euch noch an den Star-Club erinnern, und ihr werdet trauern und euch schämen, daß es ihn nicht mehr gibt!
Natürlich habe ich da die falschen Leute angepöbelt, das galt ja mehr für die Leute, die nicht gekommen waren. Aber ich war eben doch ganz schön frustriert, da hatten wir uns alle total abgerackert für nichts und wieder nichts. Ich hatte an dem Abend ziemlich gemischte Gefühle. Auf der einen Seite war ich sehr froh, daß der ganze Krampf vorbei war. Aber auf der anderen Seite war es diese Enttäuschung, daß wir es nicht geschafft hatten, den Club wieder auf das Niveau von früher zu bringen. Da waren wir gescheitert. Heute schwärmt wieder alles vom Star-Club, auch von unserer Schlußphase, weil wir da wirklich noch mal was auf die Bühne brachten. Aber das liegt wohl daran, daß die Erinnerung ziemlich verklärt und das Angenehme immer positivere Gestalt annimmt und man die Unannehmlichkeiten vergißt. Wenn ich es heute ganz sachlich betrachte, gab es für mich keine schönen Augenblicke im Star-Club. Okay, wenn abends mal der Laden voll war und ich einen Moment nicht an die Abrechnung dachte, dann glaubte ich schon, Mensch, vielleicht ist das der Anfang. Vielleicht gefällt ihnen das heute, und sie kommen morgen wieder. Aber am nächsten Tag war's wieder leer. Das waren so die ganz kurzen Augenblicke, aber an sich war immer die Enttäuschung da. Als alles vorbei war, haben wir hinter der Bühne noch ein Bier getrunken, dann packten wir schnell unseren Kram zusammen und verschwanden. Har-din & York hörten um 22 Uhr auf, denn bis Mitternacht mußte der Laden geräumt sein. Ja, und das war dann das Ende.»
Dieter Beckmann: «Für uns alte Star-Club-Fans war das so, als ob ein guter alter Freund gestorben war. Die Zeit in den Kneipen auf der Großen Freiheit, die Imbißbuden, der Beershop, die Musiker, die man traf, die Leute, mit denen man reden konnte, all das war mit einemmal aus. In den anderen Musikschuppen fühlten wir uns unwohl. Das war nicht unsere Szene. Die starke Gemeinschaft von Fans und Musikern, die Kumpels, die Musik machten und mit dir dann Bier tranken und für die der Star-Club der Mittelpunkt war, die brach jetzt auseinander. Viele von den Leuten habe ich dann auch nie wieder gesehen.»
Die Musik war zu Ende, die Lichter gingen aus. Eine Ära war vorbei.
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